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Eine weiße Rose

Eine weiße Rose

Es war der letzte Tag im Jahr. Zum ersten Mal nach der Seebestattung meiner Tochter war ich wieder in Warnemünde. Dort wo das Meer ihre Urne umhüllt.

Es war der Tag, der mir das Leben wieder leichter machte.

 

Da war ich nun. Am Ende der Mole gab der Leuchtturm seine Lichtzeichen. Der Weg auf der Mole schien lang. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet. Regentropfen rannen Tränen-gleich über mein Gesicht. Der Wind schob mich vorwärts und zerrte an meiner Kleidung. In meiner Hand hielt ich eine schöne große, herrlich weiße Rose.

 

Es war der letzte Tag im Jahr.

Schritt für Schritt ging ich auf der Mole dem Leuchtturm entgegen. Es fühlte sich nicht gut an. Es war als wenn ich auf einem Friedhof ginge. Und doch war es anders. Nein, es war kein Friedhof. Nein, ich würde an keinem Grab stehen. Nein, ich würde nicht, in einem schwarzen Loch, den Sarg suchen.

Hier war ich Zuhause. Hier war ich am Meer. Ich ging die Mole entlang, hinaus zum Meer. Seine Wellen schlugen über die Uferbefestigung. Unbekümmert stand der Leuchtturm am Ende der Mole und sendete sein Licht in die graue Regenwelt. 

 

Der Moleweg wurde länger und länger. Ich wusste nicht, ob ich es aushalten würde. Doch ich musste diesen Weg gehen. Die weiße Rose brannte in meiner Hand. Auf einigen der Molesteine standen Namen, Rosen in vielen Farben stecken zwischen den Steinen. Ich war nicht allein. Die Namen und Rosen zeugten von anderer Trauer, anderem Leid.

Mein Herz war schwer und meine Seele weinte. Nur der Regen waren meine Tränen. Tränen die ich nicht hatte. Ich hatte nur diesen unsagbaren Schmerz und die Angst vor dem Kommenden.

Ich ging die Ostmole entlang. Immer weiter und weiter.

 

Am Leuchtturm angekommen, war es wie Zuhause angekommen.

Die Rose dem Meer übergeben, war heute unmöglich. Sie wäre irgendwo zwischen den Steinen gelandet. Der Wind blies heftig, hier vorn am Ende der Mole. Das Meer schlug laut seine Wellen über die Molesteine. Seine lauten Worte drangen bis in meine Seele. 

Und das Meer sprach: "siehe ich trage die Asche deines Kindes. Ich weiß um deine Schwermut. Ich bin das Meer, ein Meer von Millionen Tränen. Sie hin. Höre die Kieselsteine von ihr erzählen. Die Wellen tragen deinen Kummer weit hinaus. Sie befreien deine Seele, sie geben dir Kraft zu leben, trotz alledem und genau deshalb. Du sollst leben, lachen, lieben. Komm an meine Ufer, wann immer du willst. Sieh auf mein Meer an Tränen, du bist nicht allein.  Ich bin noch immer das Meer, welches du liebst."

 

Nein, das Meer war kein Friedhof, kein schwarzes Loch, ein nie enden wollender Alptraum. Das Meer war und ist mein Seelenbalsam, mein Zuhause. Ihm habe ich mein Kind anvertraut.

 

Das Meer trägt die  Urne meiner Tochter und doch blieb es mir nah und vertraut. Es löste keinen Schrecken, keinen Schmerz aus. Das Meer nahm mir den Schmerz in der Seele, nahm mir die Last des Todes von der Schulter. Lies mir die Wärme in mein Herz strömen, als ich die Rose zwischen die Molesteine steckte. Das Meer, seine Wellen und der Leuchtturm der jedem Wetter trotzt, sind ein schöner Ort der Erinnerung, des Gedenkens.

 

Es war meine richtige Entscheidung die Bestattung auf dem Meer zu wählen. Dort wo mein Kind und ich glücklich waren, gemeinsam glückliche Tage verlebt hatten. Noch immer fühle ich Wärme und Nähe, wenn ich an die Bestattung denke. Es war richtig, eigene Worte für den Abschied zu finden und keinem Fremden diese letzten Worte sprechen zu lassen. Es ist als hätte ich mein Kind einem Freund übergeben. Gott ist das Meer. Das Meer ist mein Zuhause, dort wo ich Ruhe und Frieden finde, trotz alledem oder gerade deshalb.

 

Schon auf dem Rückweg, auf dem Weg zum "Alten Strom" bemerkte ich, dass ich um einiges leichter war. Am letzten Tag des Jahres, ging ich zurück ins Leben. Ich hatte all meine Last, meinen Schmerz der Trauer, dem Meer übergeben. Die Trauer blieb, aber ihr Schrecken ist vorbei. Jetzt kann ich wieder leben, besser leben und ich habe den schönsten Ort der Welt, um Ruhe zu finden und meines Kindes zu gedenken. Das Meer. 

 

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