· 

Am Meer. Wenn das Meer die Last der Trauer nimmt, die Seele wieder atmen kann.

Am Meer - Trauer-Rituale, um die Last der Trauer abzulegen

Zwei Wochen am Meer, zum Jahreswechsel 2021/2022. Dafür hatte mich impfen lassen. Zwei Wochen um endlich wieder zurück ins Leben zu kommen, der Trauer die schwere Last zu nehmen und meiner Seele wieder Luft zu verschaffen. So war der Plan. Mein Plan. Es hat funktioniert.

 

Da stand ich nun, am Meer. Nicht bei Sinnen und doch bei Sinnen. Lebend, aber nicht im Leben. Glücklich und doch so voller Trauer. Am Meer, dort wo die Wellen die Asche meiner Tochter trugen. Er hat Bauchweh.

Da stand ich nun. Am Meer. Die Wellen rollten an den Strand, immer und immer wieder. Das Meer sprach: Sieh ich trage die Asche deines Kindes. Ich weiß um deine Schwermut. Ich bin das Meer, ein Meer von Millionen Tränen. Sie hin. Höre die Kieselsteine von Jenny erzählen. Die Wellen tragen deinen Kummer weit hinaus. Sie befreien deine Seele, sie geben dir Kraft zu leben, trotz alledem und genau deshalb. Du sollst leben, lachen, lieben. Komm an meine Ufer, wann immer du willst. Sieh auf mein Meer an Tränen, du bist nicht allein.

Die Tränen hinterließen am Strand ihre Spuren. Die Kieselsteine groß oder klein sangen ihre Weisen. Ich konnte sie hören. Ich konnte sie fühlen. Ich konnte sie schmecken.

Am Meer. Da lief ich nun. Ich konnte ankommen. Ankommen am Meer, mit all meinen Sinnen und Emotionen. Die Last der Trauer drückte jeden Tag weniger. Jeden Tag mehr nahm ich die Worte der Wellen an. Es war so unglaublich schön, wieder am Meer zu sein und meiner Tochter nah zu sein. Ich lief am Strand entlang, wie immer auf der Suche nach Steinen, Malsteinen. Es tat so unheimlich gut. Die Füße im Sand. Die Augen fixiert auf die Steine vor den Füßen. In den Ohren die Worte der Wellen und das Singen der Kiesel. Langsam zog Frieden in meiner Seele ein. 

 

Es war, als würde das Meer mit jeder Welle ein Stück Trauerlast mitnehmen. Hinaus. Weit hinaus bis an den Horizont. Mein Herz war schwer und doch empfand es nun die Leichtigkeit. "Gott sprach: Wenn du eine weiße Feder am Strand findest, so wisse, ein Engel ist bei dir", hatte ich irgendwo gelesen. Ich find 3 weiße Federn. Ich war glücklich. Nun sah ich Jenny, wie sie mit mir am Strand entlang ging und fröhlich war. Sie hatte das Meer immer geliebt und unsere schönsten Zeiten, waren am Meer. 

Heilig Abend in der Seemannskirche Prerow

Am Heilig Abend gingen wir zum Weihnachtsgottesdienst in die Seemannskirche Prerow. Ich erlebte einen wundervollen Gottesdienst, der im Wechsel von Wort und Lied, sehr kurzweilig war. Für mich waren die alten christlichen Weisen, Seelenbalsam. Christliche Weihnachtslieder sang ich gemeinsam mit anderen Menschen. Ja, ich sang, auch wenn ich immer erst meine Tonlage finden musste. Egal. Egal wie es klang, ich sang. Ich sang die alten wunderschönen christlichen Weihnachtslieder. Ich sang mir die Last der Trauer aus der Seele.

 

Nun endlich, konnte ich meine Trauerkerze in die Kirche stellen. Ich hatte sie in der Klinik bemalt. Durfte sie aber nicht, im "Raum der Stille" vor dem Kreuz, aufstellen. Auch in meiner kleinen Seidnitz-Kirche, der ich jetzt angehöre, durfte ich sie nicht aufstellen. Brandschutz-Bestimmungen verhinderten meinen tiefen Wunsch. So stand diese Kerze bis zu diesem Tag, in unserer Wohnung. Nein, in der Wohnung konnte ich sie nicht anzünden. Das ging einfach nicht. 

Nun endlich leuchtete das Licht meiner Trauerkerze in einer Kirche. In der Seemannskirche. Hier wurde mir klar, dass sie nirgends anders hätte brennen dürfen. Meine Kerze, ihr Licht, gehörte in genau diese Kirche. Dorthin, wo so viele Kerzen brennen, für Menschen die auf dem Meer geblieben waren. Für diejenigen, deren Asche nun das Meer trägt und ... . So wie die Asche meiner Tochter. Das Licht der Kerze erhellte endlich meine Seele, mein Herz.

Silvester in Warnemünde

Es war ein grauer, kalter und verregneter Tag. Der Himmel öffnete wiederholt seine Schleusen und der Wind fegte über die Mole. Nein, es war nicht gerade ein schöner Tag, um den mir endlos erscheinenden Mole-Weg zu gehen. In der richtigen Bekleidung aber nicht so schlimm. Es war als wenn ich über einen Friedhof ginge. Ich hatte den roten Leuchtturm gewählt, weil der nicht so überlaufen von Touristen ist, weil er für mich der Trauerleuchtturm war. Hier war das Boot hinaus gefahren. Hinaus auf das Meer. Zur Urnen-Sandbank. Je näher ich dem Leuchtturm kam, je schwerer wurden meine Füße. Rechts und links hatten andere Trauernde die Namen ihrer Toten auf die Steine gemalt. Hin und wieder sah ich auch Rosen zwischen die Steine gesteckt. Es war unverkennbar, dass dieser Leuchtturm ein Trauer-Leuchtturm war.

Ich wollte hier noch einmal Abschied nehmen. Meinen bemalten Stein in die Wellen werfen. Mein Mann hatte am Morgen noch an Rosen gedacht. Wir hatten 2 wunderschöne große, langstielige, weiße Rosen im Blumenladen, um die Ecke, gekauft.

Als wir am Leuchtturm ankamen, waren wir allein dort. So war genug Zeit für meine Gedanken, die Last der Trauer dem Meer zu übergeben. Mit einem lautem Glucksen sank mein Stein auf den Grund des Meeres. Für unsere Rosen fanden wir einen Platz zwischen den Steinen. Ja, es tat unheimlich gut, noch einmal hier zu sein und etwas dazulassen. Die Wellen würden die Rosen irgendwann hinaustragen zur Sandbank.

Jetzt endlich konnte ich loslassen. Loslassen von der riesigen Last der Trauer, die mir die Luft zum Leben nahm. Die mir die Lust zum Leben nahm. Herz und Seele fanden endlich Frieden, auch wenn sie immer noch nicht verstehen können, warum es geschah. Ich hatte meinen Frieden mit mir selbst gemacht. Die Trauer blieb, aber die Last sie zu tragen wurde erheblich leichter.

Nach einer Kaffeezeit und kurzem Bummel am "Alten Strom" fuhren wir wieder zur Fewo. Es war zu ungemütlich und nass für einen längeren Bummel. Egal. Alles wonach Herz und Seele gerufen hatte, war erfüllt. 

 

Am Tag nach Neujahr war unser Urlaub zu Ende. Wir hatten in Zingst und an den Hochstränden von Fischland-Darß viele Glücksmomente gesammelt, waren ausgiebig Strandwandern und hatten unbeschwerte Tage, fern vom Coronawahnsinn, verbracht. Wir waren im Skipper Essen, haben am Strandkiosk Glühwein und Baileys-Schokolade getrunken und Leute beobachtet, die Zeit genossen, ohne Maske und Coronaterror.  

Ja, dafür hatte sich das Impfen gelohnt. Das wollte ich leben. Das wollte ich erleben. Immer und immer wieder.

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Kirsten (Freitag, 18 Februar 2022 19:07)

    Liebe Heike,

    ein Piep...?

  • #2

    Heike Pfennig (Freitag, 18 Februar 2022 19:15)

    Liebe Kirsten, ja mich gibt es noch.
    ???? Kann dich gerade nicht zuordnen.
    Liebe Grüße Heike

  • #3

    Kirsten (Samstag, 19 Februar 2022 00:51)

    Ich freue mich über dein Zeichen!

    Kirsten, von unverschlossen.de :-)

    Herzliche Grüße