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Ich habe versprochen zu leben

Ich habe versprochen zu leben

Nun sitze ich wieder hier und sortiere meine Gedanken. Mir ging es die Woche überhaupt nicht gut. Mein Keuchhusten hatte aufgegeben, dafür machte mein Magen nun Theater. Mir war bis gestern nicht klar warum. Ich weiß aber, dass meine Seele sich stets über den Magen meldet. Im wahrsten Sinne des Wortes brennt die Seele (der Magen). Ich war total müde, verschlief die Tage, konnte nichts essen, noch etwas im Magen behalten. Ich war so platt, meine Beine bleischwer und mein Rücken schmerzte von der Last, die er trug.

Ich hatte die Tage, alles für Weihnachten vorbereitet, da wir ja nicht da sind. Mit Mühe und Überwindung packte ich Päckchen für die Kinder und Enkelkinder.

 Keine Freude kam auf, keine Vorfreude auf ihre leuchtenden Augen am heiligen Abend. Es war einfach nur anstrengend. Heute wollte wir zu den Kindern in Guben und zu meinem Sohn nach Cottbus fahren. Also nichts besonderes auf dem Plan. Doch mein Körper streikte auf ganzer Linie. Wir sprachen miteinander und mein Mann sagte gerade heraus, dass er glaube ich würde die Fahrt nicht schaffen. Ihm wäre es lieber, allein zu fahren. Ich gab zu, auf dem letzten Loch zu pfeifen und nicht zu wissen wie ich es schaffen würde. Wir trafen die Entscheidung, dass er allein fahren würde. Schon bald darauf ging es mir besser. Mir war eine Last genommen. Ich hatte wieder alles gewollt und überhaupt nicht auf mich geachtet. Es ist Weihnachten und ich bin kaputt.

 

Wo ist das Jahr geblieben. Vor dem 25. Mai fehlt ein Stück Film. Dann war ich 12 Wochen in der Klinik und wurde zum leben entlassen. Es folgten zwei Wochen Urlaub auf Ærø mit Mann und Sohn. Ich weiß nicht wo dieser Urlaub geblieben ist. Ich war auf der Insel der Stille und so still wie die Insel ist es in mir. Ich stehe mir selbst im Weg. Immer wieder diese Bilder. Immer wieder die Frage nach dem Warum. Immer wieder die Frage, hätte ich es ändern können? Hätte ich doch mehr getan. Es gibt keine Antworten. Immer wieder diese Nachlassklärungen, immer wieder Post vom Anwalt.

Doch jetzt ist Weihnachten und das Jahr ist vorbei. Es kann weg. 

 

Nein ich kann jetzt nicht die Kinder in Guben sehen. Sie sind glücklich und leben, doch meine Mädels sind tot. Ich kann ihr Glück gerade überhaupt nicht ansehen und doch bin ich froh, dass sie es sind.

Meinen Sohn hätte ich gern gesehen. Doch unsere letzter Besuch bei ihm steckt noch tief in mir. Die Umstände damals und das wir ihn wieder in die Klinik bringen mussten, haben mich tief getroffen. So tief, dass meine Seele streikte. Ich hatte riesige Angst ihn zu sehen und ihn vielleicht wieder so zu sehen, wie beim letzten mal. Auch wenn ich wusste er ist gerade gut drauf, war meine Seele so tief verletzt, dass sie nichts anderes konnte als mich zu warnen. Sie nahm mir die Kraft für einen Besuch bei ihm. Deshalb war ich so müde, so matt und mein Magen klatschte in die Hände. Denn jetzt wo alles gut gelaufen ist, geht es mir endlich besser.

 

Nein, ich bin noch nicht wirklich wieder im Leben angekommen. Die Tage rinnen dahin und ich irgendwie mit. Nun ist Weihnachten. Überall kann ich lesen, "wir zünden eine Kerze an, für alle verstorbenen Kinder..." Ich will das nicht. Ich kann es nicht.

 

Wir werden ans Meer fahren. Zwei Wochen. Dorthin wo die Wellen die Asche meines Kindes tragen. Dorthin wo wir ihre Urne dem Meer übergeben haben. Ich kann mit den Wellen sprechen, zu den Sternen schauen... Wir werden in der Kirche sein, wo wir kirchlich geheiratet haben. Dort werde ich meine Kerzen anzünden, für meine toten Mädels, meinen Sohn, meinen Mann und die Kinder und Enkelkinder. Und ja, auch eine für mich. Ich werde beten endlich wieder leben zu können. Vielleicht wie A. auf Ærø, sie freut sich am Tage und doch weint sie noch jeden Tag um ihren Schatz. Aber sie lebt und lacht, mit ihrem Schatz im Herzen. Er ist allgegenwärtig und sie freut sich auf das Wiedersehen, irgendwann.

Ich hoffe sehr, dass ich am Meer endlich wieder zu mir finde. Wenigstens ein Stück. Ich möchte auch wieder Freude empfinden, lachen. Auch weinen wäre nicht schlecht, denn keine Tränen zu haben, sind unglaubliche Schmerzen in der Seele. Ein paar Tage noch, dann bin ich am Meer. Dort wo die Wellen die Asche meines Kindes tragen. Ich werde da sein. Ihr ganz nah sein.

 

Manchmal weiß ich nicht ob ich leben will. Manchmal wünsche ich mir, am Morgen nicht mehr zu erwachen. Einfach tot sein. Ich weiß nicht wie ich leben soll. Ich weiß nicht wie ich das alles tragen soll. Doch ich habe es versprochen. Versprochen zu leben.

 

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