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Brief an meine tote Tochter Jenny - Was ich mit deinem Namen gemacht habe

Was hast du mit meinem Namen gemacht?

Liebe Jenny,

bei einem der letzten Kontakte zu mir, hast du mir die Frage: Was hast du mit meinem Namen gemacht, an den Kopf geknallt. 

Du wolltest deinen Geburtsnamen annehmen, wie ich später erfuhr und wie "deine Familie" heißen. Nach dem Bundesdeutschen Recht war das unmöglich. 

Aber von vorn.

 

Dein Vater und ich hatten für dich den schönen Vornamen Jennifer ausgesucht. Als zweiten Namen, der zu DDR-Zeiten, nur in der Geburtsurkunde und im Ausweis erschien, solltest du den Namen deiner toten Schwester Daniele erhalten.

Daniele, ist auch so ein verrücktes Zeichen von DDR-Namensgebung. Deine Schwester sollte Danielle heißen. Ja, ich wusste wie der Namen geschrieben wurde, doch die Standesbeamtin, die den Namenseintrag machte ließ kein doppeltes L zu. So wurde aus dem Namen Daniele.

Wie du zu deinem Namen kamst

Dein Vornahme änderte sich in den letzten Wochen vor der Entbindung. Damals wurden viele Kinder geboren und jedes 2. Mädchen bekam den Namen Jennifer. Das war mir einfach zu viel. So entschieden wir deinen Vornahmen auf Jenny abzukürzen. Deine Oma Kuckuck war davon natürlich begeistert. Passte doch dieser Name zu dem Namen deines Vaters sehr gut. Gemeinsam waren wir bald glücklich, als unsere Jenny, gesund und munter auf die Welt kam.

 

Dein Nachname, war mein Geburtsnamen. Ich hatte diesen Namen, nach meiner Scheidung, wieder angenommen und ihn auch André gegeben. Das war zu DDR-Zeiten sehr einfach. Man brauchte nicht mal eine Begründung und nichteheliche Kinder bekamen immer den Namen der Mutter.  So wurde aus André Sch. und mir unproblematisch wieder Familie W. Deshalb wurdest du als Jenny W. geboren und nicht als Sch.

 

Wir lebte einige Jahre unter dem Nachnamen W., da ich deinen Vater nicht geheiratet hatte. Bis ich 1989 meinen zweiten Mann kennenlernte und 1990 heiratete. Es schien, als hätte ich endlich mal Glück, denn auch ihr beiden Kinder wart mit ihm zufrieden. Wir heirateten noch nach DDR-Recht.

 

Nach geltenden DDR-Recht war es selbstverständlich, dass nun die ganze Familie St. hieß. Mit dem Antrag auf Eheschließung und dem Antrag auf Namensänderung wurde an einem Tag aus Familie W nun Familie St. Niemand, der uns nicht kannte, konnte wissen, dass ihr Kinder einen anderen Vater hattet. Das war auch der Grund warum es nach DDR-Recht so einfach war. Die nichtehelichen oder aus einer anderen Ehe hervorgegangenen Kinder sollten mit den ehelichen Kindern, nach Außen, gleich gestellt sein. Niemand konnte also mit dem Finger auf euch zeigen und sagen: "ihr habt ja einen Stiefvater...". Damit hatten meine Kinde den Namen, den ich trug, was dich aber nicht vom Vater trennte. Dein Vater hatte der Namensänderung zugestimmt. Er blieb trotzdem dein Vater und ich hätte seinen Kontakt zu dir niemals unterbunden. Das hat er selbst so entschieden und es hat mich nicht gefreut. 

 

Deine Namensänderung wurde in der Geburtsurkunde vermerkt. Nach DDR-Recht hättest du deinen Geburtsnamen jeder Zeit wieder annehmen können. Ich habe also nichts mit deinem Name gemacht, was dir die Annahme meines Geburtsnamens verhindert hätte.

Die Bundesdeutschen Gesetze änderten alles

Mit der Wende, der Wiedervereinigung Deutschlands, änderte sich für die Menschen in den, nun Ostdeutschen Bundesländern, alles. Keine Stein blieb auf dem anderen.

 

Wärst du nach bundesdeutschem Recht geboren worden, wärst du wohl unter dem Namen Jenny Sch. geboren. Es wäre mir unmöglich gewesen, nach der ersten Scheidung meinen Geburtsnamen wieder anzunehmen. Erst bei einer erneuten Eheschließung wäre mein Geburtsname wieder möglich gewesen. Bei einer Eheschließung kann man jeden Namen annehmen, den man schon mal getragen hat. Nein, diese Gesetze muss ich nicht verstehen. Ich wollte den Familiennamen W. nicht wieder annehmen. Es war nicht meine Familie.

 

Ich wollte meine eigene Familie und so nahm ich den Namen meines Mannes an und trugen so wir alle den Familiennahmen St. Nach Bundesdeutschen Recht wär die Änderung deines Nachnamens unmöglich gewesen. Wir wären immer eine Familie gewesen mit unterschiedlichen Nachnamen. 

Eine andere Änderung war die, dass nun nicht mehr der Familienname gefragt wurde, sondern der Nachname. 

 

Es war also nicht meine Entscheidung, die dir verwehrte den Nachnamen W. wieder anzunehmen. Die Bundesdeutsche Gesetzgebung war es, die deinen Geburtsnamen einfach löschte, so dass du von nun an eine geborene St. warst. Nein, auch ich verstand es nicht. Aber ändern konnte ich es auch nicht.

 

Du hast dich vor deiner Hochzeit, als du die Geburtsurkunde gebraucht hast, nicht an mich gewendet. Vielleicht hätte die Originalurkunde dir, bei deinem Wunsch, meinen und deinen Geburtsnamen wieder anzunehmen, geholfen. Ich weiß es nicht, aber es wäre ein Versuch wert gewesen, da dort ja dein Geburtsname drauf stand.

 

So nun weißt du warum dein Geburtsname gelöscht wurde. Ich war nicht Schuld daran, wenn es hier überhaupt eine Schuld gibt. Für dich war natürlich klar, dass ich Schuld war, da ich ja einfach deinen Namen geändert hatte. Das machte dich wütend und so kam es dass du mir dafür Vorwürfe gemacht hast. Ich konnte meine Kinder auch nicht befragen, wie es das Bundesdeutsche Gesetzbuch vorsieht, da ihr noch viel zu klein wart. Du warst kaum 5 Jahre. Darüber hinaus habt ihr beiden euch gefreut: "wir heißen jetzt alle wie Papa". Ja, damals war unsere Welt noch in Ordnung. Was daraus wurde, wusste damals niemand. 

 

Liebe Jenny, es gibt Dinge die geschehen und sie geschehen aus einem bestimmten Grund. Das einmal die deutsche Wiedervereinigung kommt und auf Dauer bleibt, das alle Gesetze sich änderten, konnten wir noch nicht wissen.

Wir lebten in der DDR und nach geltendem DDR-Recht bis Ende 1990. Ich habe meine Entscheidungen getroffen, damit es uns allen gut geht. Daran ist nichts, was du mir verwerfen kannst. Nein, ich hätte nicht dagegen gehabt, dass du deinen Geburtsnamen wieder annehmen wolltest. Doch geändert hätte es nicht wirklich etwas. André und ich wären noch immer deine Familie gewesen, die Familie in der du geboren wurdest und aufgewachsen bist. Ich bin noch immer deine Mutter, die dich liebt.

 

In Liebe deine Mutti

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