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Brief an meine tote Tochter Jenny. Ich hoffe du kannst ihn da oben lesen und verstehen.

Brief an meine tote Tochter Jenny-Von Paukenschlag zu Paukenschlag

Liebe Jenny,

heute schreibe ich nun an dich. Wieder einmal und ich hoffe, dass du meinen Brief da oben im Himmel lesen kannst und verstehst was ich dir sagen möchte, woran ich dich erinnern möchte, woran ich mich erinnere und was ich nun mit großer Trauer und Sehnsucht nach dir, aufschreibe. Ich liebe dich und du bist immer noch ganz nah bei mir. Im Herzen.

 

Dein Freund J., deine Cousine und beste Freundin M. und dein Cousin M. haben mir von dir berichtet. Mir wurde einiges klar, anderes brachte mir neue Fragen. Auch wenn du es nicht magst, aber du bist mir in vielem sehr ähnlich, hast meine Fehler wiederholt. Hätte ich damals schon gewusst bzw. wissen können, was ich heute weiß, ... Aber darum geht es jetzt hier nicht. Ich möchte dir erzählen, an was ich mich erinnere.

Geboren als Sonntagskind

Liebe Jenny, bevor du pünktlich auf die Welt kamst, musste ich 8 lange Wochen im Krankenhaus verbringen. Du hattest es zu eilig und so musste ich, um eine Frühgeburt zu verhindern, 8 Wochen liegen. Mein Bett war an den Füßen, auf Backsteine gestellt, damit die Last vom Bauch nach oben gedrückt wurde. Ich muss heute darüber lächeln, aber zu der Zeit, gab es keine andere Möglichkeit, ein Bett am Fußende zu erhöhen. Als es endlich nach 6 Wochen normal stand, hattest du keine Lust mehr auf die Welt zu kommen. So vergingen noch 2 Wochen bis du an einem Sonntag geboren wurdest. Ich war glücklich, dass du eine ganz normale Geburt, gesund und munter warst. Darüber hinaus hattest du wilde schwarze Haare. Ich war stolz wie Bolle, dass du nicht auch wie Daniele und André mit einem Glatzkopf geboren wurdest. Du warst ein wundervolles Baby und Kleinkind und machtes uns viel Freude.

Du warst das Kind einer großen Liebe. Ja, dein Vater war genau so glücklich wie ich, über deine Geburt. Wir beide liebten dich. Du wurdest verwöhnt von ihm und mir, sowie deiner Oma Kuckuck (wie wir sie liebevoll nannten). Erst als du ca. ein Jahr warst, ging diese Beziehung leider in die Brüche. Das hatte seine Gründe, aber nicht den Grund, dass er dich nicht geliebt hat. Wir waren füreinander nicht gut.

Dein Vater war kein Arschloch

"Sie hat nie was Schlechtes von meinem Vater" erzählt, sagtes du mal zu deiner Oma, die darüber genau wie du, sehr verwundert war. Deine Großeltern haben ihn nicht gemocht, sie fanden in schlicht und einfach nur doof, obwohl sie ihn kaum 3 mal gesehen hatten. Sie hatten ihr Urteil gefällt und trugen ihren Anteil daran, dass ich mich von ihm trennte.

Wir hatten uns in der Not kennengelernt, als wir 1981 beide die Scheidung einreichen wollten. Ich habe sie damals leider zurück gezogen und erst 1984 war meine Scheidung. Dein Vater hat so lange gewartet. In der Zwischenzeit hat sich mit meinem damaligen Mann angefreundet. Er ist mit ihm "um die Ecken" gezogen und hat ihn aber bevor er besoffen und brutal wurde, nach Hause gebracht. Nach der Scheidung hat dein Vater, seine gerade erhaltene Wohnung (man bekam nur sehr schlecht eine Wohnung) an meinen Ex-Mann abgetreten. Dein Vater wollte wieder zu seiner Mutter ziehen, wenn es mit uns nicht klappen sollte. Das werde ich deinem Vater nie vergessen. Das war damals meine Rettung. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

 

Es begann eine wunderschöne Zeit, die aber ihre Macken bekam als du geboren warst. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich sicher, ich würde mit deinem Vater alt. Nichts deutete auf Probleme hin. Aber als du geboren warst, wurde es schlimm. Dein Vater konnte überhaupt nicht mehr mit deinem Bruder umgehen. Der kleine Mann, damals 3 Jahre alt, wurde von deinem Vater ignoriert. Ich durfte ihm kaum Spielzeug oder Bekleidung kaufen. Er schnauzte ihn unberechtigt an, wenn André ihn störte.

Dazu kam, dass ich ihm irgendwie nichts mehr recht machen konnte und er wochenlang nicht mit mir sprach und mich auch ignorierte. Wir waren beides "gebrannte Kinder", hatte unser Trauma und das ging nicht miteinander. Das führte immer wieder zu seinen Überreaktionen. Irgendwann war es vorbei und er ging wieder zur Tagesordnung über, ohne das ich erfuhr, warum er so gewesen ist. Ich habe diesen Psychoterror einfach nicht mehr ausgehalten. So dass ich mich von ihm trennte.

Da erst begriff dein Vater seinen Fehler. Als ich mit euch bei deinen Großeltern im Urlaub war, kam er mir dorthin nach. Uuhaa, das war eine Stimmung. Meine Eltern waren stink sauer und drohten mir, wenn ich mich mit ihm wieder einlasse. Er fuhr unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Später unternahm er noch mehrfach Versuche. Er zeigte mir, dass er begriffen hatte, was er angerichtet hatte. Ich liebte ihn immer noch, konnte aber nicht zurück. Ich hatte Angst, dass dieser Psychoterror wieder von vorn begann und mich meine Eltern endgültig für dumm hielten, mich "rauswarfen". So blieb es bei der Trennung, auch wenn sie mir das Herz zerriss.

Deinem Vater ging es schlecht und er konnte die Trennung nur aushalten, in dem er uns komplett mied. Er lehnte jeden Kontakt zu uns oder dir ab. Leider. Erst als er seine spätere Frau kennenlernte änderte es sich, für die Zeit seiner Ehe. Auch dafür bin ich heute noch dankbar. So konnte er dich wenigstens eine Zeitlang selbst erleben.

Was zu dem erneuten Bruch zwischen dir und ihm führte entzieht sich meiner Kenntnis. Aber nein, dein Vater war kein Arschloch, wie du ihn bezeichnest hast. 

Du hast mich nie zu ihm befragt und so kann ich dir erst heute von ihm erzählen.

Vom Baby bis zum Grundschulkind

Du warst als Baby ein Sonnenschein. Du hast viel geschlafen, sogar nachts frühzeitig durchgeschlafen. Zum stillen musste ich dich meist wecken. Wenn du wach warst, hast du gebrubbelt und gelacht. Ich glaube du wurdest verwöhnt, von mir, deinem Vater und der Oma Kuckuck.

Du hattest schon frühzeitig eigene Vorstellungen was deine Bekleidung anging. Bestimmt Shirts und Strampler wolltest du nicht. Das hast du laut kundgetan. Naja, gab schlimmeres. Deine Sprache blieb bis fast ins Alter von 2 Jahren auf Silben und Zeichen begrenzt. Man schickte mich zum Ohrenarzt mit dir, weil man deine Spachentwicklung auf Hörschädigung abklären wollte. Doch dein Gehör war intakt.

 

In einem Sommerurlaub bei deinen Großeltern, die nicht auf deine Silben und Zeichen achteten, hast du dann gesprochen. Vollständige Sätze. Naja, wenn Mutti immer springt, wenn ich was will, dann brauche ich ja nicht sprechen. So einfach war das.

Lachen muss ich heute noch wenn ich an deine "entsetzte" Krippentante denke. Als du nach dem Urlaub wieder in die Kinderkrippe gingst, hat dich deine Krippentante, wie immer auf den Arm genommen, ist mit dir ans Fenster gegangen, damit du Mutti noch mal winken konntest. Was machst du an diesem Tag? Du erzählst deiner Tante welche Autos unten geparkt waren. Das hattest du von deinem Opa gelernt. Ich hatte der Krippentante nicht erzählt, dass du nun sprechen kannst. Sie war total überrascht. Als ich dich am Nachmittag abholte sagte sie zu mir: "Ich hätte Jenny fast fallen gelassen, vor Schreck. Sie kann ja auf einmal sprechen". Sie hat dich natürlich nicht fallen gelassen und hat mit mir über die Geschichte gelacht.

 

Im Gegensatz zu deinem Bruder hattest du mit der Krippentante, der Kitaerzieherin und mit deinen 2 Grundschullehrerinnen Glück. Du warst eben ein Sonntagskind. Alle vier hatten einen sehr guten Draht zu dir und du bist gern in die Einrichtungen bzw. später die Grundschule gegangen. Die Kitaerzieherin wie auch deine Grundschullehrein waren schon ü 50 und "bemutterten" ihre Küken sehr. Sie mochten dich auch sehr. So vergingen Krippen-, Kita- und Grundschulzeit ohne jedes Problemchen. Du warst gut aufgehoben und behütet.

 

In der Kita wie in der Grundschule hattest du viele Freundinnen. Du warst immer unterwegs, draußen und wenn es regnete war in unserer Wohnung Treffpunkt. Es war manchmal wie im Kindergarten bei uns zu Hause. Naja, bis dahin war ich auch, in der Regel, am frühen Nachmittag zu Hause. Kindertrubel war ich gewohnt, da ich bis 1995 als Erzieherin gearbeitet habe. Wenn es irgendwelche Probleme gab, kamst du einfach mit deinen Freundinnen zu mir. Du warst dir sicher, das ich helfen konnte. Was ich auch oft konnte.

 

Wir sind natürlich auch spazieren gegangen, im Tierpark gewesen und ja, wir sind auch rodeln gegangen mit euch. Selbst dein Vater war noch mit dir rodeln auf dem Sanseberg. Als du das erste mal im Schnee stands, hast du geweint, der Schnee war dir nicht geheuer. Viel lieber hast du gut verpackt auf dem Schlitten gesessen und dich durch die Welt ziehen lassen. Auch wenn du das nicht mehr in deiner Erinnerung hast.

 

Erinnerst du dich an die "Pyjama-Partys", die wir jedes Jahr zu deinem Geburtstag feierten. Du warst die einzige, die so ein Fest gab. Bis zu 5 Mädels und du im Wohnzimmer, in einer Reihe auf dem Sofa, wie auf Luftmatratzen. Es waren immer tolle Feiern mit langen Nächten. Die letzten Gäste gingen erst am Sonntag-Nachmittag. 

Erinnerst du dich, an die ersten Kelly-Konzerte, die wir gemeinsam besuchten, an die Besuche im Filmpark Babelsberg.

Erinnerst du dich, das wir gemeinsam in den Seniorengruppen waren. Du hattest deine Freude daran und meine Seniörchen freute sich auf dich. 

Erinnerst du dich, dass ich dich eine Woche mit nach Köln nahm, wo ich zur Fortbildung war. Nein, kein anderer Teilnehmer nahm zu den Praktikas sein Kind mit. Robin hat es ermöglicht und wir hatten eine schöne Woche in Köln. Robin ist mit uns zum alten Liegeplatz vom Hausboot der Kelly-Family gefahren. Du hast dir die bemalten Kaimauern angeschaut. Erinnerst du dich?

 

Nein, ich saß nicht nur auf dem Sofa, so wie du es mir mal an den Kopf geworfen hast. Ich habe die Wohnung geputzt, Wäsche gewaschen, gekocht, mich um alles gekümmert. Der Haushalt und ihr Kinder waren immer allein mein Aufgabe. Ich hatte also gar nicht so viel Zeit zum rumsitzen. Und wenn ich mir die Zeit nahm, dann hatte ich ein Recht darauf. Das Recht mich zu erholen und mal alle viere gerade sein lassen. Es hätte dir ganz sicher nicht gefallen, wäre ich beim spielen mit deinen Freundinnen beständig dabei gewesen.

 

Du hattet immer deinen eigenen Kopf. Kritik konntest du überhaupt nicht annehmen. Weder von mir noch von deinen Freundinnen. Wenn du kritisiert wurdest oder ein Problem hattest, dann hast du oft tagelang nicht gesprochen. Ich konnte sehen, dass es dir nicht gut ging, doch du hast mich geblockt. Ich kenne kein Kind, das wie du, mit 5 Jahren tagelang ihre Mutter ignorieren konnte. Du warst darin perfekt. Oftmals hast du mich aber rumbekommen und bekamst deinen Willen. Ich konnte dir nur schwer etwas abschlagen. Robin, hat mal zu mir gesagt: "du hast dir eine Prinzessin auf der Erbse erzogen". Und ja, er hatte Recht. Solange wie ich dich kenne bist du, wenn du deinen Willen nicht bekommen hast, wenn du Kritik einstecken musstes oder dir etwas nicht angenehm war, explodiert wie eine Rakete. Konflikte sind bei dir immer explodiert. Du hast dicht gemacht, nicht mehr gesprochen und mich ignoriert. Das war meine Jenny. 

 

Andererseits warst du ein Rockzipfelkind. Du hast für alles mich gebraucht. Du hast kaum Dinge selbst geregelt. Naja, es war ja leicht für mich, dir zu helfen. Aber manches mal wünschte ich mir, du wärst selbstständiger. Bis zur Schule war es besonders "schlimm". Wenn wir irgendwo zu Besuch warst, selbst bei deinen Großeltern, brauchtest du oft mehrere Tage, um dich einzugewöhnen. Ansprechen, mit dir sprechen oder um irgendwas bitten, war für dich unmöglich. Immer hast du dann nach mir gerufen oder hast dich an mich geklammert, dich hinter mir versteckt. Deine Großeltern hat das mächtig geärgert und sie haben keinen guten Faden an meiner Erziehung gelassen. Aus diesem Grund sagte dein Großvater: das ist unsere Jennypfeife.

 

Du warst eben ein Mama-Kind und ich fand das gar nicht schlimm. Ich liebte es, wenn du an mir gekuschelt hast und einfach nur bei mir warst. Aber wenn du "getigscht" hast konnte ich es kaum aushalten. Ich sah, dir ging es schlecht, konnte dir aber nicht helfen, weil du niemanden an dich ran gelassen hast.

 

Heute, denke ich mir, es waren schon die ersten Anlagen einer Borderline-Störung. Die sich dann mit deiner Pubertät aufgebaut und gefestigt hat. Damals waren es, für mich, normale Entwicklungsmerkmale, die ich auf deinen Anlagen zurückführte, da ja dein Vater ebenso war. Ich liebte dich und du warst meine Prinzessin und ich habe dir viele deiner Wünsche erfüllen können. Es war eine schöne Zeit.

Schulwechsel und Pubertät

Du kamst spät in die Pubertät, dafür aber umso heftiger. Vielleicht auch dem geschuldet, dass du nun erste ernste Züge der Borderlinestörung entwickelt hast, denke ich heute. Du hast nur noch: für dich oder gegen dich, schwarz oder weiß, ja oder nein, im Focus gehabt. Wenn ich dich berechtigter Weise kritisierte, warst du auf 380 und wie üblich hast du mich dann ignoriert und gemacht was du wolltest. Es konnte dich niemand halten.

 

Mit dem Schulwechsel in die Realschule in der 7. Klasse änderte sich alles. Ich wurde arbeitslos und bekam einen neuen Job, der mich anders beanspruchte und keine festen Arbeitszeiten mehr hatte. Ich war froh, denn ich war eine von sehr wenigen, die einen neuen Job erhalten hat. Damit konnte ich aber keine Klassensprecherin mehr bei dir sein und war damit nicht mehr eng mit der Schule verbunden, was sich später als Horror herausstellen würde.

 

Mit dem Schulwechsel warst du ohne jede Freundin in der neuen Schule und Klasse. Bis zur Jugendweihe schien deine Welt noch in Ordnung zu sein. Doch ja, ich verlor dich aus dem Blick, weil ich bald nur noch arbeiten ging, nur um unsere Existenz zu sichern, den Job zu behalten. Es gab ja keine Arbeit damals. Fast in jeder Familie war mindestens einer arbeitslos.

 

Nun hattest du eine ältere Lehrerin, die es nicht verstand euch Kinder abzuholen. Auf einmal wart ihr wieder klein, auch wenn ihr das nicht wart. Sie wollte zum Wandertag mit euch in den Tierpark. Ich konnte es kaum fassen, aber nicht ändern. Zu ihr hast du überhaupt keinen Faden gefunden. Leider. Bis zur 8. Klasse hat sich das noch die Waage gehalten. Neue Freundinnen hast du keine gefunden. Heute weiß ich, du hast in der Klasse keinen Halt gefunden oder gesucht.

 

Mit dem Wechsel der Französisch-Lehrerin, in Klasse 9 wurde alles noch schlimmer. Du gingst nur noch auf Konfrontation. Das die Lehrerin selbst ihren Anteil daran trug, ist unbestritten. Leider. 

 Auch die Klassenwiederholung brachte keine positive Veränderung, wenn auch die Klassenlehrerin nun eine gute Lehrerin war. Die Französisch-Lehrerin hatte dich fallen lassen und du sie ebenfalls. Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch mit ihr. Niemals werde ich ihre Worte vergessen, die sie in deinem Beisein sprach. "Jenny schafft Französisch nicht, nehmen sie sie von der Schule". Unglaublich! Die vorhergehende Lehrerin hatte dir noch "Sprachbegabung" bescheinigt und nun das? Ich konnte es nicht glauben, aber nicht ändern. Danach hast du völlig dicht gemacht. Nein, mit dieser Lehrerin konntest du nicht umgehen, was ich verstehen konnte.  

 

Du gingst deine eigenen Wege, nur nicht zur Schule. Dein Bruder deckte dich in der Schule und ich bemerkte es nicht, da ich abends müde nach Hause kam, irgendwann, und morgens um 6.30 Uhr das Haus wieder verließ. Du hattest deine Schultasche immer fertig stehen und nichts deutete darauf hin, dass du nicht zur Schule gingst. Nach ca. einem halben Jahr erst, rief mich die Schule an, wann denn wieder mit deiner Anwesenheit zu rechnen wäre. Ich war total geschockt. Da waren alle Messen gesungen. Warum hatten sie mich nicht viel eher angerufen?

Du hast die Schule ohne Abschluss verlassen und es war dir egal.

Ein Anzeige wegen Kindesmisshandlung

Dann warst du verschwunden. Einfach so. In der Schule warst du natürlich auch nicht. Ich wurde fast verrückt. Was war los. Wohin warst du gegangen. Dein Bruder gelang es dann deinen Aufenthalt heraus zu bekommen. Du warst in einer Klicke, die sich bei einem Jungen traf. Der Mutter war es scheinbar egal, dass in der Klicke auch junge Mädchen waren, die auch dort schliefen.

 

Einer dieser jungen Männer, kam dann mit dir, zu uns nach Hause. Er stellte sich mir als Mitarbeiter des Jugendamtes vor. Er teilte mir mit, dass du Anzeige erstattest hattes, weil ich dich geschlagen habe. Ich war fassungslos. Nein, geschlagen habe ich dich niemals. Der Vorwurf nahm mir den Verstand. "Wir wollen Jennys Sachen holen, werden Jenny aus der Familie nehmen und in einer WG unterbringen", sprach der junge Mann. Du stands daneben und ja, ich habe gesehen wie schlecht es dir ging. Alle deine Signale standen auf rot. Als ich den jungen Mann herein bat, für ein Gespräch, warst du weg. Ich saß weinend vor diesem Jungen Mann, der keine Mine verzog und sein Schauspiel ungerührt fortsetzte. 

 

Was sollte ich nun tun? Ich hatte niemanden der mir helfen konnte, mir zuhören würde, zur Seite stand. Ich akzeptierte, dass du von nun an Hause in der WG, das hieß bei Jan wohnen würdest.

In meiner Not suchte ich die Hilfe beim Jugendamt. Ich werde es nie vergessen. Du kamst in Begleitung von Jan und sahst schrecklich mitgenommen aus. Das du damals psychisch am Ende warst, war unverkennbar. Doch ich wusste noch nichts von Depressionen oder gar Borderline. Ich sah nur, dass es dir nicht gut ging und von mir keinerlei Hilfe annehmen würdest. Dein Blicke waren kalt und abweisend.

Mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes führte ich ein langes Gespräch. "Nein, sie haben getan, was sie konnten. Eine Aufnahme im betreuten Wohnen ist nicht möglich. Wenn ihre Tochter sich nicht selber fängt, können wir nichts tun". Ich war schockiert. Sollte ich nun zuschauen und abwarten, für was du dich entscheidest. Ich war Fassungslos. Die Mitarbeitern sagte mir auch, dass kein Mitarbeiter ihres Amtes bei mir war und es wohl nur einer der Freunde von dir war.

Danach sprach diese Mitarbeiterin noch mit dir. Ich denke sie hat dir einiges ans Herz gelegt. Vielleicht hat sie dir auch gesagt, dass ich Jan und seine Freunde hätte anzeigen können. Du warst minderjährig und sie alle weit über 20 Jahre. Eine Anzeige hätte die Situation aber nur verschärft und nicht wirklich irgendwas positives gebracht. Deshalb kam sie für mich nicht in Frage.

Es blieb dabei, dass du bei Jan wohntest. Es blieb dabei, aus meinem anhänglichen Mädchen war, innerhalb eines Jahres, eine Jugendliche geworden, die alle Brücken abbrach, erwachsen sein wollte. 

Zwischenspiel

In diesem Zeitrahmen kam es für mich noch dicker, denn auch mein Mann wurde psychisch krank, konnte gar nichts mehr, stand mir nicht ein bisschen zur Seite, sondern war wie du, von einem auf den anderen Tag verschwunden. Ich reichte die Scheidung ein.

Dein Bruder hing gerade an seinem Vater, der ihn benutzte, um mir weh zu tun. Ich verlor fast den Glauben.

Mein Job auch gerade voll der Wahnsinn und ich musste irgendwie, nach allen Seiten, stark sein. Der Job wurde immer wahnsinniger und ein 8-Stunden - Tag kaum mehr möglich. Auch ich war mit meinen Kräften am Ende. Dazu kam noch, dass ich für keines meiner Kinder mehr aufkommen konnte. Mit meinem Gehalt kam ich kaum über den Monat.

Paukenschlag Jan

Mit der Trennung von meinem Mann, wurden die Kontakte von dir und deinem Bruder wieder besser. Du und Jan kamt manchmal vorbei und ich besuchte euch. Dein Bruder erkannte das wahre Gesicht seines Vater und war fertig mit ihm. 

 

Ich habe Jan akzeptiert wie er war und meine Zweifel für mich behalten. Ich konnte nicht verstehen, was dieser Mann für dich war. Aber ich war froh, dass du eine Ausbildung begonnen hattest und auch gute Ergebnisse erzielen wolltest. Auch Jan war davon überzeugt, dass du unbedingt eine abgeschlossene Lehre brauchtest, das muss ich ihm lassen. Wir unternahmen gemeinsame Ausflüge und trafen uns nun häufiger. Zu Weihnachten wurde ich zu euch eingeladen. Nein, ich hatte nicht den Eindruck, dass du noch immer der Meinung warst, ich wäre eine schlechte Mutter.

Bald danach begannst du mir ein paar Sorgen zu erzählen, ein paar Sichtweise zu erfragen, wurdest deutlich Mutterbezogener. Es war dir anzusehen, dass du psychische Probleme hattest.

 

Die Beziehung endete mit einem Paukenschlag. Eines Tages warst du mit einem Koffer deiner Habseligkeiten wieder da. Einfach so. Deine Psyche lag blank. Nein, du konntest nicht noch einmal in die Wohnung gehen und all deine Sachen und dein Fahrrad holen. Du hattest Angst und Panik, bei dem Gedanken daran. André und ein Kumpel von ihm, erledigten das. Am gleichen Abend, wir wollten am nächsten Tag gemeinsam nach Dänemark fahren, stand Jan unten vor dem Haus und brüllte das gesamte Viertel wach, fummelte mit einer Pistole rum. Es war dein Bruder, der dafür sorgte, das Jan aufgab. Wir hingegen packten das Auto und fuhren Hals über Kopf los. Das war das Ende deiner Beziehung zu Jan. Es wurde nie wieder darüber gesprochen. Es war als hätte es Jan niemals gegeben.

Ein Urlaub mit Überraschung

Nach dem wir Beide unser Panik wieder im Griff hatten fuhren wir gemütlich in Richtung Dänemark. Oberhalb von Hamburg, auf einem Raststätten-Parkplatz, schliefen wir im Auto, ein paar Stunden. Weißt du noch. Ein paar Stunden danach waren wir in Dänemark. Ich freute mich riesig nun 2 Wochen mit dir zu haben. Ich hatte das Gefühl, das wir wieder Mutter und Tochter waren, uns verstanden.

Zwei Tage später kamst du ganz nebenbei darauf, dass du einen neuen Freund hast. Nein, meine Hoffnung, dass er jünger als Jan war, wurde zerschlagen. Dein Freund war noch älter, fast so alt wie ich. Er war einer deiner Lehrer in der Berufsschule. Auch wenn ich es nicht fassen konnte, akzeptierte ich es. Du liebtest ihn, das konnte ich deutlich sehen, als du mir erklärtest, dass er es ohne dich nicht aushalte und am nächsten Tag, mit dem Motorrad zu uns käme. Klatsch. Das saß. 

Vollendete Tatsachen und ich musste es akzeptieren. Er wolle nur ein paar Tage bleiben, sagtest du. Aus den paar Tagen wurde unser ganzer Urlaub. Ich erlebte einen "alten" Mann, der um meine Tochter herum schwänzelte und sich wie ein Teenager benahm. Ich werde nie vergessen, wie er am ersten Tag neben mir saß. Ich sagte zu ihm: Vergiss bitte nicht das Jenny deine Freundin ist. Sie ist nicht deine Tochter. Sie ist meine Tochter und wenn du ihr weh tust, dann bekommst du es mit mir zu tun." Ja, ich weiß meine Worte noch ganz genau.

Danach folgten zwei gemeinsame schöne Wochen Urlaub. Ich hatte nicht das Gefühl, dass du oder er mit mir ein Problem hattet. Du hast viel gelacht, warst fröhlich und aufgeschlossen, hast deine neue Liebe genossen. Da kann keine Mutter widerstehen.

Auf nach Frankfurt am Main "alter Mann"

Du bist zu dem "alten Mann" gezogen. Ein paar Monate, bis es fast Winter wurde, habt ihr in einem Bungalow am Senftenberger See gelebt. Dann endlich habt ihr euch eine Wohnung gesucht. Er verlor den Lehrer-Job und bekam einen neuen Job in Frankfurt am Main. Nein, er pendelte nun nicht zwischen Frankfurt und Cottbus. Die Wohnung wurde gekündigt, du zogst wieder bei mir ein. Wieder war Stimmung zwischen uns gruselig. Ich konnte nicht verstehen, warum ihr in Frankfurt eine Wohnung suchtet, wo hier eine war. Ich konnte nicht verstehen, dass du nun von Cottbus nach Frankfurt pendeln wolltest.

Ja, ich hatte Angst, dass du deine Lehre für ihn kanzelst. Jetzt hattet ihr finanzielle Probleme, vor allem du. Wie solltest du auch von deinem Mini-Lehrlingsgeld die Fahrkarten für den Zug bezahlen. Ich konnte nicht helfen, auch dann nicht, wenn ich gewollt hätte. Ich konnte nicht. Das hast du nicht verstanden. Ich ging ja arbeiten, verdiente Geld, da musste es doch reichen, ihr mal ne Fahrkarte zu kaufen. Es war zum heulen, aber du hast unsere Beziehung wieder kalt gestellt, warst psychisch mitgenommen.

Trotzdem hast du es durch gezogen. Die Woche über, warst du zu Hause, hast dich aber eingeigelt und kaum gesprochen und am Wochenende bist du nach Frankfurt gefahren. Du hast es geschafft deine Lehre vorzeitig mit besten Noten abzuschließen. Das war einfach nur Klasse. Von nun an warst du in Frankfurt, weit weg von zu Hause. Aber es schien, dass dein Leben glücklich war.

Zwischenspiel

Es folgte eine Zeit, in der du nur ab und zu, mit mir telefoniertest. Dir ging es gut, du hattest Arbeit gefunden und deine Liebe schien in Erfüllung zu gehen. André verlor sich in einer kirchlichen Sekte und sprach sehr bald nur noch mit Gott. Ich hielt mich irgendwie aufrecht. Weihnachten hatte ich endlich Urlaub. Jetzt hatte ich Ruhe. Nun rächte sich meine Seele zum ersten Mal, wie ich heute ganz sicher weiß. Mir haute es die Beine weg. Ich war zu nichts in der Lage und ließ mich bis Ende Januar krank schreiben. Das ließ den Mobbing auf Arbeit richtig quellen. Ich wusste, ich musste da weg. Doch wohin, wenn Arbeit noch immer Mangelware war.

 

Ich wusste auch, ich wollte nicht allein leben. Über eine Anzeige lernte ich im April Michael kennen und lieben. Nein, sehr einfach war es nicht, zwei alte Hasen zu verbinden. Er hat mir aber gut getan und so konnte ich etwas Luft holen, im ganzen Stress. Eine neue Liebe, macht auch die Arbeit etwas leichter. Ich hatte ja jeden Tag die Aussicht darauf, nach der Arbeit mit Michael zu telefonieren bzw. später dann, auch zu sehen.

Paukenschlag "alter Mann"

Ostern besuchten wir dich dann das erste mal. Wir haben uns gut verstanden und du hast Michael vertraut. Es begann in deiner Beziehung zu kriseln, weiß ich heute, denn du wurdest wieder sehr Mutterbezogen.  Auf einmal wurde es dir wieder wichtig, was ich dachte. Wieder sahst du schlecht aus, konntest nicht richtig essen, hattest Magenprobleme. Du warst nicht mehr glücklich. Nun telefonierten wir öfter und du erzähltest mir aus deinem Leben. Nein, deine Probleme erzähltest du mir nicht, aber ich konnte spüren, dass etwas nicht stimmte. Das mir der "alte Mann" meine ersten Worte übel genommen hat und mich deshalb nie leiden konnte, erfuhr ich so auch. Er konnte aber nicht mehr verhindern, das wir jetzt in Kontakt standen. Bei unserem nächsten Kontakten wurde immer klarer, dass diese Beziehung ihrem Ende entgegen ging.

 

Irgendwann erzähltest du mir dann, von einem jungen Mann, der jeden Tag, an deiner Kasse stand und im Autohaus in der Nähe arbeitete. Ich freute mich darüber, dass du auch noch Augen für andere hattest. Das es dich freute, dass er jeden Tag an deine Kasse kam. "Geh mit ihm nen Kaffee trinken, davon geht die Welt nicht unter", sagte ich irgendwann zu dir. Die Eifersucht vom "alten Mann" hielt dich wohl eine Weile davon ab. Doch als ich es wiederholte, sagtes du: "hab ich gemacht. Es ist noch mehr passiert." Du hörtest dich glücklich an, doch ich ahnte was bald folgen würde.

Ich weiß nicht was in den folgenden Tage passierte, aber es brachte dich an den Rand des Wahnsinns. Wir waren hier, schon fast soweit, einen LKW zu mieten und dich abzuholen. 

 

Doch es kam anders. An einem Tag packtest du deine Koffer und zogst bei Stefan ein. Auch dieses mal, konntest du vor Angst und Panik nicht noch einmal dort hin, um deine anderen Sachen und das Fahrrad zu holen. Du hattest Angst, weil der "alte Mann" einen ganzen Schrank voller Waffen hatte und durch seine Arbeit auch eine Pistole trug. Er hatte dir wohl schon mehrfach damit gedroht. Gemeinsam mit Stefan warst du dann doch noch mal dort und hast deine letzten Habseligkeiten abgeholt.

Die Liebe zu "alten Mann" war vorbei und es wurde nie wieder darüber gesprochen. Du hast ihn einfach gelöscht. Punkt. Fertig.

Eine junge fröhliche Frau

Mit Stefan kam ein junger Mann in dein Leben. Er zeigte dir was Leben bedeuten kann. Jetzt warst du endlich eine junge fröhliche Frau, die auch mal über die Stränge schlug. Soweit ich es einschätzen kann, war er der erste Mann, der viele deiner Gesichter kennenlernte. Du warst zum ersten mal, ein ganzes Stück du selbst. Wir hatten guten Kontakt und ich war mir sicher, dass er dir gut tat. Wie weg geblasen waren deine Magenbeschwerden. Du lebtest sichtlich auf und das, konnte jeder sehen. Du warst einfach nur glücklich. Ich hoffte, das er nun der Richtige war. Stefan war ein gutherziger junger Mann und immer wenn du getigscht hast, sagte er: "das ist meine Jenny und ließ dich gewähren. Er wartet einfach ab, bis du dich wieder gefangen hattest.

Ungeahnte Probleme

Ich dachte nun würden gute Zeiten in unserer Familie beginnen. Aber nun fingen aber unsere Probleme erst an. Probleme, die ich so nicht geahnt habe. Heute denke ich, du warst eifersüchtig auf die Kinder von Michael. Ich hatte einen Fehler gemacht, dir von meinen Problemen mit der jüngsten Tochter von Michael erzählt. Wir konnten diese bereinigen, doch du konntest das nicht. Du hast die jüngste Tochter verurteilt und konntest nicht glauben, dass wir uns wieder trafen. Für dich gab es nur die Variante einmal einen Fehler gemacht, verurteilen, löschen. Aber als Vater bzw. Mutter kann man das nicht. Die Kinder bleiben immer die Kinder und man vermisst sie, wenn sie nicht da sind oder Funkstille herrscht. Michale wäre ohne seine Kinder niemals glücklich geworden. Ja, auch wir, Michael und ich wollten endlich glücklich sein.

 

Unsere Telefonate wurden immer mehr zu einer Belastung für mich. Ich musste genau überlegen, was ich dir sagen konnte und was ich dir lieber verschwieg. Jedes mal war Funkstille, wenn ich dir wieder einmal freudig etwas aus meinem Leben erzählte und dir dies nicht gefiel.

Erinnerst du dich an die Geburtstagstorte. Michaels Tochter hatte mir eine gebacken. Darüber freute ich mich riesig, weil es nicht selbstverständlich war, schon gar nicht auf Grund unserer Konflikte. Du bist regelrecht explodiert am Telefon: "Ich hab auch mal für dich gebacken, da hast du dich nicht gefreut!". Nein, ich kann mich nicht daran erinnern, aber ganz sicher habe ich mich damals auch gefreut.

Es wurde leider zur Regelmäßigkeit. Immer wenn ich von den Kindern erzählte, hast du das Gespräch beendet und darauf gewartet das ich wieder anrufe, so dass ich dir irgendwann nur noch von alltägliche Dinge erzählt habe. Du wolltest im Mittelpunkt meines Lebens sein. Aber wir hatten 5 Kinder, die wir alle gleich behandeln wollten. Da wir nur ein kleines Budget hatten, ohne unsere Beziehung hätten wir gar keins gehabt, wollten wir allen Kindern das Gleiche zukommen lassen. "Aber ich bekommen mehr", war deine Antwort auf meine Erklärung. Nein, du konntest unser bzw. mein Handeln nicht verstehen. Auch das wir öfter in Guben oder Dresden waren, bei Michaels Kindern war dir ein Dorn im Auge. "Uns besuchst du kaum. Ich will auch Besuch haben", hast du mir mal an den Kopf geworfen. Du hast weit weg gelebt und da war es nicht mal eine kurze Autofahrt um zu kommen. Ich konnte nicht mal einfach Sonntags zum Kaffee vorbei kommen. Aber genau das, wolltest du. Auch das wir unseren Urlaub nicht vollständig bei dir verbrachten, hast du mir übel genommen. "Schließlich bin ich deine Tochter". Du  konntest nicht verstehen, dass wir unseren Urlaub für uns verbringen wollten. Es hat mich fertig gemacht, dass ich deinen Ansprüchen nicht gerecht werden konnte und wollte. Es war doch mein Leben. Hatte ich nicht ein Recht darauf auch mein Leben, wie es mir gefällt, zu leben? Ich konnte dir nicht folgen, auch wenn du meine Tochter warst und ich dich geliebt habe. 

 

Wir entschlossen uns heimlich zu heiraten. Niemand wusste davon. Nach der Trauung, warfen wir eine schöne Karte in den Briefkasten. Alle fünf Kinder, meine Eltern und Freunde bekamen so eine Karte; "Wir haben uns getraut". Wir fuhren nach der Trauung in ein Hotel und von dort aus einen Tag später nach Dänemark. Schon am Abend riefen die ersten Kinder an. Die Post war schnell. Sie lachten und freuten sich, gratulierten uns und scherzten mit uns. Alle, die unsere Karte erhalten hatten, erfüllten unsere Bitte, uns doch eine Glückwunschkarte mit Zitat, zu schicken. Von dir hörten wir nichts und es kam auch keine Karte. Eine Woche nach unserem Urlaub rief ich bei dir an. "Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dir zu deiner Hochzeit gratuliere, war dein erster Satz. "Meine Mutter heiratet und ich darf nicht dabei sein!", schriest du mich an. Ich fiel fast vom Stuhl, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Das Gespräch hast du nach weiteren Vorwürfen dann beendet. Funkstille auf allen Kanälen. Es hatte auch keinen Sinn mit dir zu telefonieren, da du mir nicht zuhören würdest. Es änderte sich an deiner Einstellung dazu auch nichts, als du später unsere Gründe dafür hörtest. Du warst auf mich stink sauer. Nur mühsam konnte ich das wieder ändern. Immer noch beständig bedacht darauf was ich dir am Telefon erzählte.

 

Dann kam Weihnachten und ihr kamt zu uns, obwohl unser Kontakt noch immer sehr sporadisch war. Wir wollten gemeinsam Silvester feiern. Wir hatten euch erzählt, wie wir, seit wir uns kennen, Silvester verbringen und ihr habt zugestimmt. Wir haben uns auf euch gefreut.

Silvester und Neujahr mit Folgen

Für den Silvestertag hatten wir verabredet, das wir ihn gemeinsam so verbringen, wie Michael und ich ihn verbringen, seit wir uns kennen. Geplant war nachmittags nach Dresden fahren, Kaffeezeit unter der Heizsonne, ausgedehnter Altstadtrundgang, Abendbrot unter der Heizsonne. Wir haben es geliebt. Es war so herrlich, dick eingemummelt unter der Heizsonne zu sitzen und zu schlemmen ...

 

Aber mit euch war alles anders. Schon bei der Kaffeezeit war euch, direkt unter der Heizsonne sitzend, kalt. "Es ist kalt, wir frieren, bei dem Wetter sitzt man nicht draußen ... Mit fröhlicher Ironie habt ihr darüber gesprochen und so versucht, das ganze abzukürzen. Noch dachten wir beide, es würde sich geben, doch wir hatten uns geirrt. Mit einem kurzen Altstadtbummel brachen wir ab. Es machte keinen Sinn, denn ihr hattet nur noch ein Thema. Nach Hause, es war viel zu kalt.

Später saßen wir gemeinsam und warteten endlos auf den Jahreswechsel. Wir hatte es ja so nicht geplant, also war auch nichts im Haus, das Kurzweil bot. Kurz bevor es soweit war, fiel dir dann ein, wir könnten zum Feuerwerk an die Neiße runter fahren. Michael hatte schon Alkohol getrunken, Stefan wollte mit seinem Auto auf keinen Fall fahren. Also blieb nur Mutter und ihr Auto. Da war es egal, ob das Auto eventuell einen Schaden davon tragen würde. Ich war genervt. Aber ich fuhr euch alle an die Neiße und wieder zurück, ohne das mein Auto eine Rakete abbekam.

 

Neujahr sahen wir euch den ganze Tag nicht. Ihr habt gründlich ausgeschlafen und wart erst zum Abendbrot wieder ansprechbar. Wir waren allein spazieren und vertrieben uns die Zeit. Am Abend saßen beieinander. Du fragtest was wir denn morgen machen. Ich hatte nichts geplant. "Wir wollen nicht wieder den ganzen Tag rumsitzen. Wir können ja ins Kino fahren", fragtest du mich. Ich war davon nicht begeistert und lehnt ab. Als dann auch Michael verneinte, war deine Geduld zu Ende. 

"War ja klar, wenn Mutti nicht will, dann willst du auch nicht." Das war alles was wir an diesem Abend von dir hörten. Steif und stumm hast du da gesessen und uns deutlich gezeigt, was du dachtest. Es brauchte keine Worte, um zu verstehen, dass wir gerade abgemeldet waren. 

 

Als ich am nächsten Morgen aufstand, war niemand da. Michael sagte, ihr seit ohne Frühstück oder ein Wort, gegangen. Was nun? Was sollten wir tun? Wir warteten aber auch zum Mittagessen waren wir allein. Nun waren wir langsam aber sicher sauer. Ihr hattet keinen Schlüssel mit, wir wussten nicht wo und wie lange ihr unterwegs sein würdet und waren daher verdammt dazu, in der Wohnung zu hocken, um euch wieder hinein zu lassen. 

 

Zur Kaffeezeit rief dann Michaels jüngste Tochter an. Ob wir mit ihr und den Kindern rodeln gehen wollten, auf dem Rodelberg, hinter unserem Wohnblock. Wir sagten zu. Warum sollten wir auch ablehnen. Wir wussten ja nicht wie lange euer Ausflug dauern würde. Gerade als wir die Wohnung verlassen wollten kam dein Anruf. Als wäre nichts gewesen, teiltest du uns freudig mit, dass ihr wieder in Guben seit und fragtest mich, ob wir mit Bummeln gehen würden.  Ich war Fassungslos.

Ich antwortete dir, das wir gerade auf dem Weg zum rodeln sind und fragte ob ihr nicht mit uns gehen wollte. Du hast aufgelegt.  

 

Wir sind mit den Enkelkindern rodeln gegangen und hatten viel Spaß. Danach luden wir alle noch zu einem Kaffee ein. Wir haben uns dabei nichts gedacht, es war ja auch nicht schlimm. Gespannt darauf, ob ihr inzwischen zu Hause wart, kamen wir an. Es war niemand zu Hause. Wir saßen gerade gemütlich beim Kaffee, die drei kleinen Enkelkinder um uns rum, als ihr zurück kamt. Es war nicht zu überhören, da du die Tür ins Schloss geschmissen hast, an uns vorbei, sofort im Gästezimmer verschwunden bist. Stefan schaute um die Ecke und begrüßte alle. "Oma, wenn man herein kommt, dann sagt man doch guten Tag", sprach die kleine L. zu mir. Ja, sagte ich, das tut man. Mir war es unendlich peinlich. Bald danach, unsere Stimmung war am Boden, ging Michaels Tochter. Auch ihr war die Situation sichtlich unangenehm. Damit hatten wir alle nicht gerechnet.

Erst nach dem Abendbrot bist du dann aus dem Zimmer gekommen. Den ganzen Abend hast du wortlos auf der Couch gesessen. Jedes Wort hätte dich zum explodieren gebracht. Ich verstand nicht, was mit dir los war. Warum es so schlimm war, dass wir rodeln waren. Traute mich aber nicht nachzufragen. So gingen wir alle wortlos und ohne "Gute Nacht" ins Bett. Ich hoffte sehr, dass wir das Thema, am nächsten Morgen klären konnten, denn nein dieses Verhalten wollte ich nicht tolerieren. Das ging zu weit.

Paukenschlag am Tag nach Neujahr

Dieser Tag ist bei mir noch in lebendiger Erinnerung, als wäre es gestern gewesen.

Wortlos und unter Hochspannung, begann auch der nächste Tag. Wir saßen gemeinsam am Frühstückstisch. Damit du niemanden anschauen musstest, hast du dich seitlich auf deinen Stuhl gesetzt. Die Luft war zum schneiden dick. Michael und ich konnten es kaum aushalten. Ich überlegte die ganze Zeit, ob und wie ich dir meine Meinung sage. Ich wusste, es war egal. Du würdest explodieren. Trotzdem sprach ich dich, nach dem wir alle fertig gegessen hatten, an. "Jenny dein Verhalten gestern, war nicht gut. Wir hatten Besuch und du hast nicht einmal guten Tag gesagt." Stille. Dicke Luft. Kein Blick von dir. "Ich fand dein Verhalten auch nicht gut". Weiter kam Michael nicht. Du sprangst auf, holtest deine Koffer und weg warst du. Aus dem Flur riefst du noch nach St., der noch überrascht am Tisch saß. Ich glaube, ihm war die ganze Situation oberpeinlich, aber er hatte keine Wahl. Die Tür fiel in Schloss. Weg wart ihr.

 

 

Was war so schlimm daran, dass wir einen spontanen Besuch hatten. Ihr hattet nicht gesagt wohin und wann. Auch wenn ihr unsere Gäste wart, ist es doch völlig normal, das auch mal andere Gäste dazu kommen. Ihr hättet die Tochter und die Enkelkinder von Michael kennenlernen können. Ihr hättet euch ganz sicher verstanden und die Kinder hätten dir Spaß gemacht. Was war nur los mit dir?

 

Ich war fassungslos. Was war das jetzt. Nein, ich wollte dir nicht hinterher laufen oder dich zurückrufen. Das hätte ganz sicher nichts gebracht. Die Tür war zu und du warst weg. Punkt.

Funkstille auf allen Kanälen - 10 Jahre lang

Ich weiß nicht wie lange wir nichts von dir hörten, du nicht ans Telefon gegangen bist. Irgendwann warst du bereit zu reden, dass heißt, mich mit Vorwürfe zu bombardieren.

"Das sind nicht deine Enkelkinder. Enkelkinder hast du nur, wenn ich oder André Kinder bekommen." Ihr seid nicht mit ins Kino gegangen, weil ihr das Rodeln geplant hattet. Wir waren bei euch, aber trotzdem kam die Tochter von Michael".  Nun verstand ich warum du so explodiert warst. Ich konnte es kaum fassen. Deine Eifersucht hatte zugeschlagen, unerbittlich.

Nein, der Besuch der Enkelkinder war nicht geplant. Wir haben uns ganz spontan getroffen und hätten uns gefreut, wenn du sie kennengelernt hättest. Sie gehörte schließlich zu unserer Familie, so wie Stefan auch. Ja, ich bin die Oma zu den Kindern und darauf bin ich stolz. Oma sein kann man auch, wenn man nicht die leibliche Mutter eines Kindes ist, das Kinder hat. Das war für dich zu viel. Nein, das wolltest du nicht akzeptieren. "Du hast ja jetzt deine Familie, dann brauchst du ja mich nicht", war deine Reaktion. Dann war Stille.

 

Es war fast 11 Jahre Stille. Heute weiß ich, dass du auf der Suche nach der Familie warst. Doch deine Familie, mich, André und Michael hast du aus deinem Leben ausgeschlossen. Alle meine Versuche wieder Kontakt zu dir aufzunehmen scheiterten. Jeder in meiner Familie (deine Großeltern, meine Geschwister und deine Cousinen) hielt sich daran, mir nichts zu erzählen. "Jenny reißt mir den Kopf ab", war alles was sie auf meine Bitten, dir einen Brief zu geben, sagten. "Da misch ich mich nicht ein", antwortete deine Großmutter mir. Nach dem was ich heute weiß, hatte sie doch einen guten Kontakt zu dir, auch wenn sie es gegenüber mir bestritt. Vielleicht hätte sie etwas ändern gekonnt, aber das können wir beide nicht mehr erfahren.

Briefe über die Post, hatten auch keine Reaktion. Du hast sie sicherlich ungelesen zerrissen. Nein, ich hätte dir keine Vorwürfe gemacht. Ich wäre einfach nur glücklich gewesen, wenn du wieder Kontakt aufgenommen hättest.

 

Nun bist du tot. Ich muss damit leben, dass alle Worte gesagt sind, dass ich nichts mehr tun kann, dass ich dich nie wieder in den Arm nehmen kann, dir in die Augen schauen kann. Heute weiß ich, du warst krank und durch die Krankheit, konnte ich dir nicht gerecht werden, auch wenn ich das immer wollte. Borderline ist ein Arschloch. Aber dazu in einem anderen Brief.

Du bist tot. Ich liebe dich und habe dich im Herzen, immer noch. Wie all die Jahre der Funkstille. Ich liebe dich immer noch und trotz alle dem. 

 

In Liebe Deine Mutti 

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