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Nur ein paar Worte, geliebte Tochter

Geliebte Tochter – ein paar Worte nur

Und wieder ist ein Tag vergangen, an dem ich damit lebe, dass du auf der anderen Seite bist.

Ich weiß nicht wie ich damit leben soll, auch wenn ich weiß deine Schwester wird dich finden. Ihr seid nicht allein.

 

Es ist gerade schwer, mein Leben nicht aufzugeben, um bei euch zu sein. Es gibt hier Menschen die es nicht verdient haben, dass ich mein Leben hinschmeiße.  

Liebe Jenny, 

wir haben uns schon lange Jahre nicht gesehen und gesprochen. Doch mein Wunsch war immer da. Ich habe dich gesucht, per Melderegister.

Ich habe dir geschrieben, doch ich weiß nicht, ob du meine Briefe jemals gelesen hast. Ich denke, du hast sie ungeöffnet sofort zerrissen. Du hast mir keine Chance gegeben, dass was uns getrennt hat, zu bereinigen.

Doch meine Liebe zu dir, ist geblieben, in der Sicherheit, dass es dir gut geht und du mit beiden Beinen im Leben stehst.

Alles kann ich daher nicht falsch gemacht haben. Doch nun bleiben mir, wie so oft schon in meinem Leben, wieder ungesagte Worte und Antworten auf meine Fragen wird es niemals mehr geben.

 

Ich fühle mich so sehr schuldig.

Ich fühle mich so sehr verlassen.

Ich fühle mich so sehr verurteilt.

Ich fühle mich so unheimlich müde. Müde vom Leben.

 

Ganz sicher war ich keine gute Mutter, vielleicht aber doch. Ich habe Fehler gemacht. Inzwischen hast du selbst viele Erfahrungen gesammelt, durch Fehler die du selbst gemacht hast. Das Leben ist nicht fehlerfrei. Das Leben ist nicht perfekt. Für das Leben, für Kindererziehung, gibt es keine Gebrauchsanleitung.

 

Was habe ich getan, dass du mich so gehasst hast, mich vollständig blockiert hast? Ich konnte deine Ansprüchen nie wirklich genügen. Ich bin keine Rabenmutter und nicht das Monster, zu dem du mich gemacht hast. Mir hat es weh getan, dass andere Menschen, deinen Verurteilungen noch Feuer gegeben haben. Das niemand von ihnen für mich gesprochen hat. Das sich alle rausgehalten haben, inklusive meine Eltern. Ich hörte nur immer: ich halte mich daraus, sonst reißt mit Jenny den Kopf ab". Ich kann es nicht verstehen. Was habe ich nur getan? Eine Frage, die nun für immer unbeantwortet bleibt.

 

Der Tod ist durch die Tür gegangen und hat dich mitgenommen. Einfach so.

 

Ich habe gegeben was ich konnte. Das Beste versucht. Ich wollte immer eine gute Mutter sein. Vieles anders machen, als ich es selbst erlebt habe. Nein, du würdest mir kein Wort glauben. Für dich waren meine Eltern unfehlbar. Doch auch sie, waren nicht fehlerfrei. Insbesondere dein geliebter Opa, der erst im hohen Alter und bei seinen Enkeln, ausgenommen deinen Bruder, vieles anders gemacht hat, viel weicher und liebevoller war. So habe ich ihn niemals kennengelernt. Leider. „Was kann man von dir anderes erwarten? Von dir kommt nichts Gescheites“, sprach mein Vater sehr oft deutlich aus. Scheinbar ist es genau so, auch wenn ich heute weiß, dass es nicht so ist, lebe ich mit diesen Worten.

 

Ich habe dich über die Jahre so sehr vermisst. Gerade hatte ich für mich entschieden, deine Adresse nicht noch einmal zu suchen. Irgendwie musste ich ja leben. Mir immer wieder selber Backpfeifen zu holen, in der Erwartung, dass du doch auf einen Brief reagierst, konnte ich nicht mehr aushalten. Meine Therapeuten rieten schon immer davon ab.

Darüber hinaus, habe ich mich belesen, was Mütter tun können, wenn sie von ihrem Kind verlassen wurden. Wenn du nicht selbst den Weg zu mir gesucht hättest, wären alle meine Versuche, nur Feuer in deiner Wut auf mich gewesen.

Dein bester Freund sagt auch, es war für dich noch nicht an der Zeit. Vielleicht hattest du Angst ich könnte dir, nach all den Jahren Vorwürfe machen. Vielleicht hattest du Angst vor der Konfrontation. Er kannte dich gut und ist ein wahrer Freund für dich gewesen. Ich bin dankbar dafür, dass es ihn an deiner Seite gab. Das er immer für dich da war, dir in der Not zur Seite stand.

 

Jetzt aber muss ich damit überleben, dass du für immer unerreichbar für mich bist. Das ich dir nie mehr in die Augen schauen, dich in den Arm nehmen, dein Lächeln sehen, dein lautes Lachen hören kann.

Nie mehr.

 

Es tut so unendlich weh.

Ich liebe dich. Das war so und wird so bleiben, so lange ich lebe.

Du bist gegangen, über die Regenbogenbrücke.

 

Ich bin noch hier und weiß nicht, wie ich damit leben soll.

 

Klinik Weißer Hirsch, 03.06.2021

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