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Hast du es gewusst?

Hast du es gewusst?

Heute sitze ich hier und habe Fragen.

Fragen, die du mir nicht beantworten kannst.

Nicht beantworten willst?

„Ich brauche Hilfe“.

Ich bekomme Hilfe.

Ohren hören zu, der Mund schweigt, die Augen

schauen mich an.

Ein feste und ehrliche Umarmung.

Worte braucht es nicht.

Skill-Alarm.

Ein Eis-Pack im Genick nimmt der Laptop meine Gedanken auf.

 

Meine Fragen auch.

 

Hast du es gewusst?

Warum?

Dein Laptop dessen Inhalt gelöscht wurde.

Fotos von dir, die es nicht mehr gibt.

Dein Handy was völlig leer ist.

Die Speicherkarte entnommen.

Zweifel stiegen auf.

 

Wer lebt und leben will, löscht er seine Laptop, wo er doch Homeoffice macht?

Zieht dieser Mensch die Speicherkarte aus dem Handy und löscht alle Daten?

Hast du entschieden, dein Leben zu beenden?

Wolltest du nicht mehr leben?

Heute nun, dein Terminkalender.

Letzter Eintrag ein Termin bei deinem Arzt.

Und …

Und ein Zettel, mit Bemerkungen, Kündigungen von Verträgen.

 

Alles passt zusammen

Über mir schlägt donnernd, brausend und kalt, eine harte Welle hernieder.

Hilfe.

„Sie hat es gewusst!“ schreie ich. Sie hat es gewusst.

Hilfe. Ich kann nicht mehr.

 

War dein Tod vorbereitet.

Lange vorbereitet, wie der deines Onkels?

Wolltest du mir einen letzten Schlag verpassen.

Dich noch ein letztes mal an mir rächen?

Wofür?

Meine Gedanken drehen sich im Kreis.

Es passt so viel zusammen.

Leerer Laptop.

Leeres Handy.

Gekündigte Verträge.

Immer mehr Teile fügen sich zu einem Puzzle.

Die Wohnung geordnet und geputzt.

Keinerlei Medikamente, nicht einmal Nasentropfen.

Obwohl du erst eine Lungenentzündung hattest.

Keine schmutzige Wäsche, nicht mal eine Socke.

Alles fein säuberlich geordnet.

 

Hast du selbst deinen Weg über die Regenbogenbrücke gewählt?

Selbst die Vorbereitungen getroffen?

Hilfe, warum nur?

Bin ich so ein abgrundtief schlechter Mensch,

dass du mich so unerbittlich hassen kannst?

Hilfe!

Lügt der Kripobeamte um uns zu schonen?

Lügt er vielleicht, weil man sich in Coronazeiten nicht suizidiert.

Hätte man eine Stoffwechselerkrankung nicht früher bemerkt?

Nein, bitte lieber Gott, lass es nicht so sein.

Und doch, es passt so viel zusammen.

Hilfe, es tut so weh.

 

Du bist so jung. Das ganze Leben noch vor dir, noch Zeit für dich.

Hast du es nicht gewollt?

Was hat dich getrieben?

Was war der letzte Tropfen in deinem Fass des Ertragens?

Warum hast du dich so allein gefühlt, um diesen letzten Schritt zu wählen?

 

Heute habe ich all deine wundervollen Kleidungsstücke gesehen.

Sie angefasst und gerochen.

Du hattest einen guten Geschmack und ein tolles Parfüm.

Alles riecht so wundervoll nach Leben.

Aber du bist tot.

Deine Kleidung wird nun jemand anders tragen.

Es tat mir gut, diese zu verschenken.

An eine Familie die es gut brauchen kann.

Nein wegwerfen, konnte ich sie nicht.

Es war eine tiefe Freude zu wissen jemand würde sich freuen.

Freudentränen rannen.

Ich bin mir sicher, deine Kleidung ist in guten Händen.

Freude, in mir, etwas Gutes zu tun.

Bis...

 

Bis ich in deinen Terminkalender sah.

Diesen einen! komischer Zettel.

Was las ich da?

Warum hast du das aufgeschrieben?

Warum Verträge gekündigt?

Die Welt um mich herum drehte sich.

 

Hilfe.

Hilfe, bitte Gott lass es nicht wahr sein.

Bitte, es so schon schwer genug.

Wie soll ich loslassen, mit so vielen Fragen?

Los lassen von einem geliebtem Kind?

Los lassen von meiner geliebten Tochter,

die den Namen meiner ersten Tochter trug.

Jenny Daniele.

Du bist tot.

Und ich sitze hier und habe Fragen.

Fragen die für immer unbeantwortet bleiben.

 

 

Hast du es gewusst?

 

 

Klinik Weißer Hirsch 16.06.2021

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