Eine etwas andere Abschlussreflexion - Wo du Hilfe bekommst, da lass dich ruhig nieder

Wo du Hilfe bekommst, da lass dich ruhig nieder

Vorwort

In jeder Klinik, in der ich einen langen Aufenthalt hatte, gab es am Ende die Aufgabe, eine Aufenthaltsreflexion zu schreiben. In den Wochen meines Aufenthaltes schrieb ich fortlaufend, diese Zeilen. Gerade wie sie mir in den Sinn kamen, wie sie mir mein Gedankenchaos sortierten. Nein, für die reguläre Reflexion waren sie nicht tauglich, aber ich nutzte sie für die Reflexion in der Patientengruppe. Die waren so eine gute Truppe, dass sie es einfach verdient hatten, meine Worte über, von und mit ihnen zu hören. Sie hatten einen großen Anteil daran, dass ich es schaffte wieder Leben zu wollen.

Ein Anruf.
Danach war nichts mehr wie es mal war.
Ich schrie mir die Seele aus dem Leib.
Nichts konnte mich beruhigen.
Nichts konnte ich hören oder verstehen.
Ich fühlte nur noch diesen grausamen Schmerz.
Ich wollte nicht mehr leben, schrie Gott an, verfluchte ihn,

warum nicht ich, statt ihrer.
Alles verschwamm im unendlichem Sog des Verlustes.
Warten bis Michael nach Hause kommt.
Warten, vielleicht hatte ich mich ja verhört.
Nein, hatte ich nicht.
Es blieb dabei. Mein Kind war tot.
Ich wollte nicht mehr leben.
Meine Stimmung war tödlich.
Michael rief den Notarzt.
Es war mir egal. Scheißegal.

Mit dem Krankenwagen zur Klinik.
Irgendwann war ich dann allein.
Allein auf einem Zimmer der „Geschlossenen“
Sie tun sich hier nichts an, fragt später die Ärztin.
Ich versprach es ihr.

Auch wenn meine Gedanken mich drängten.
Auch wenn meine Welt nie wieder die Alte sein würde.

Für meinen Mann, für meinen Sohn, irgendwie überleben.
Ein Medi ließ mich schlafen.
Ohne Gedanken, ohne Bilder, ohne ...
Ich schlief wie tot.
Alles in mir war abgestellt.
Schlafen und überleben.

Vielleicht war ja morgen alles vorbei.

Der nächste Morgen kam hart und unerbittlich.

Wollte ich leben? Weiterleben? Trotz alledem?

Ich hatte es versprochen. Versprechen bricht man nicht.
Ein paar Tage später, dann die Verlegung.
Sie müssen sich entscheiden.
Urlaub oder ein Bett auf der P4, bis Ende Juli.
Kein Meer, kein Wellenrauschen.

Aber aufgefangen werden und Hilfe annehmen.

Lernen zu überleben, weiter zu leben, wieder leben zu wollen.

Ich hatte die Tränen in Michaels Augen gesehen.

Nein er hatte es nicht verdient.

Ich musste weiter leben, Hilfe annehmen,

weil es Menschen gibt, denen ich wichtig bin, die mich lieben.

Doch war ich dem Tod näher als dem Leben.

 

Aufgefangen, aufgenommen, Halt bekommen, auf der P4.
Die ersten Tage waren noch ruhig. Der Therapieplan übersichtlich.
Keine direkten Einführungen, rein ins Wasser und schwimmen.
Essen dreimal am Tag, zu meiner Überraschung, kein Problem.
Ein lustige gepunktete Fußbank hielt meine Beine im Zaum.
Selbst meine Skills funktionierten gut.
Erste kleine Freuden wieder annehmen.

Freude denken, noch nicht fühlen.
Malen, immer weiter, damit die Todessehnsucht an Macht verliert.

Die Gefühle waren verbannt, wieder abgelegt im Irgendwo.

Gedanken bahnten sich Wege, immer wieder und wieder.

Bilder reihten sich aneinander, aus längst vergangenen Zeiten.
Nie wieder wird es so sein.
Nie wieder kann es so sein.
Ich war müde, unheimlich müde vom Leben.

Ich hatte es versprochen. Überleben, irgendwie.

 

Die Tage zogen dahin, im Eiltempo.

Immer im gleichen Takt, der Therapien.

Erste Hindernisse wurden gemeistert.

Ein voller Fahrstuhl, ein lauter Knall.

Ich steh da und schreie, laut und durchdringend.

Mein Kaffeebecher fliegt durch die Luft.

Geschafft, zwei Stationen waren nun munter.

Passiert. Einfach so.

Nein, in einen vollen Fahrstuhl ging ich nicht noch einmal.

Ich hatte eine Meinung, nahm nicht alles hin oder an.
Staunte über mich selbst.
Ich hatte also doch schon Fortschritte gemacht.

Kleine Zeichen zeigten, meine Seele ist war nicht tot. Sie lebte.

Butterblumen auf der Wiese, ließen mein Herz beben.

Rotkelchen und Amselbesuch im Garten erfreuten mich.

Ein Leuchtturm, eine Schildkröte, ein Zitronennusskuchen wie von Oma,

ein paar Holzreste von Schwester Verena, brachten Freude in meine dunkle Seelenwelt.

Ich malte einfach nur so, einfach das, was gerade mein Herz sprach.

Wonach mir war.

Ich bemalte Kreuze und Holztafeln, Steine in Vielzahl.

Gab der Station neue bunte Schilder, für ein wenig Freude im Alltag.

Mitpatienten und Pflegepersonal freuten sich, sogar Freudentränen liefen.

Noch immer war es schwer, dieses Lob anzunehmen.

Doch Freuden-Tränen lügen nicht.

Ich war dankbar dafür, mit meinen bunten Malereien anderen ein Lächeln zu zaubern.

Ich malte um zu überleben, in meiner Not nicht unterzugehen.

Aufgeben war keine Option mehr.

 

Ein Kunsttherapie-Gruppenprojekt und das Ergo-Einzeltherapie-Projekt

reizten mich sehr und ließen meiner Kreativität guten Raum.
Etwas hier lassen, etwas zurückgeben, für die Hilfe die ich bekam.
Dafür, dass ich hier Hilfe annehmen darf.
Wege finden, Gedanken sortieren, vor allem Reden.

Reden über Gefühle, Gedanken, Trauer, Selbstwert

und den inneren Kritiker in den Einzel und Gruppentherapiestunden.

Ein Marienkäfer setzte einem Vogel das Ende seiner Macht.

Das Manual, lässt Erkenntnisse purzeln, Wissen festigen,

Neues zu entdecken und vor allem darüber reden.

Gemeinsam reden, über das was da in mir tobt, in dem anderen tobt,

mich und andere zweifeln lässt.

Ich bin nicht allein und ich darf reden, einfach so.

Niemand wertet, niemand zweifelt an meinen Worten, niemand lacht mich aus.

Smiley malen für den Tag, von traurig über müde bis hin zum lächeln im Gesicht.

Schritt für Schritt kam das Leben in mir zurück.

Jeder Diary Card-Tag ist ein auf und ab und auf.

Jeder Wochenbericht ein Stück weiter voran.

Nein, Frühsport wurde nicht meine Welt.

Aus überleben wurde leben. Weiter leben, trotz alledem.

 

Langsam bekam auch die Trauer ihre Bilder und Worte.

Nein, ich konnte die Trauerrede keinem Fremden überlassen.

Wieder und wieder lass ich meine Worte der Trauer.

Alles was in mir war, wurde dort in Text gefasst.

Es fühlte sich gut an, bis zum letzten Wort.

Ich bemalte Steine, in den Farben des Meeres, mit einer großen bunten Sonne.

Mit einem letzten Gruß versehen, sollten sie im Meer versinken,

dort wo auch die Urne vom Meer aufgenommen wurde.

Mit der Seelsorgerin betete ich für diesen Tag, das Gott mir Kraft schenken möchte,

um diesen Tag zu überstehen.

Einer dieser Stein unter dem Kreuz im Raum der Stille, sollte mir Gottes Segen geben.

Ich schlug die Bibel auf und da standen die Worte an Baruch.

… und Gott sprach „ich schenke dir das Leben wohin auch immer du gehst“

Nun wusste ich warum ich leben musste, leben sollte.

 

Ich gab meinem Kind einen schönen Abschied auf dem Meer.

Dort wo unsere schönsten gemeinsamen Tage waren.

Und plötzlich waren sie wieder da.

Die Suizidgedanken.

Kurz und drängend.

Doch ich gab ihnen keinen Raum und suchte sofort Hilfe.

Nein, ich wollte nicht mehr sterben.

Ich wollte leben. Irgendwie, aber leben.

 

Nun sind die Tage auf der P4 gezählt.

Die Zeichen stehen auf Abschied.

Abschied. Raus aus der gut behüteten Käseglocke.

Raus in die Welt.

Leben. Irgendwie. Trotz alledem oder gerade trotz alledem.

Ich bin dankbar für jeden Tag den ich hier verbringen durfte.

Bin dankbar für die vielen wundervollen Menschen, die ich hier kennenlernen durfte.

Dankbar für ein Ärzte/Pflegeteam der Extra-Klasse.

Die Klinikleitung sollte achtgeben, dass niemand von ihnen das Weite sucht.

In meinen Klinikaufenthalten anderswo habe ich kein solches Team erlebt.

Meine Hochachtung gilt jedem von Ihnen, daher nenne ich hier niemandem beim Namen.

Ich bin dankbar dafür, dass sie mir eine Hängematte boten,

die mich auffing und mir meinen Lebenswillen wieder gab.

 

Danke. Wenn ich wieder einmal Hilfe brauche, weiß ich genau wo ich sie finde.

 

Getreu dem Motto: Wo du Hilfe bekommst, da lass dich ruhig nieder.

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