· 

Depression – Was macht die Krankheit mit den Angehörigen

Depression – Was macht die Krankheit mit den Angehörigen

Zu diesem Thema habe ich eine nette Anfrage, von der Redakteurin des „Senioren Ratgeber“ - Kundenmagazin der Apotheken, erhalten. Natürlich versprach ich zu helfen und mögliche Personen zu finden, die öffentlich zum Thema sprechen würden. Leider hatte ich keinen Erfolg.

 

Ich denke, das ist nicht untypisch. Betroffene wie Angehörige gehen nur ungern in die Öffentlichkeit, auf Grund der hohen Stigmatisierung dieser Krankheit und weil es um ihre Gefühle und Gedanken geht, die nicht in die Öffentlichkeit sollen. Gerade jetzt, nach der Veröffentlichung der bayerischen Gesetzesvorlage zum Umgang mit psychisch Kranken. Sie ist zwar vom Tisch, aber die Unsicherheit und Angst vor Stigmatisierung bleibt.

 

Diese Verschwiegenheit, nimmt im höheren Alter noch zu. Dort sind die eigenen, wie auch die Sicht auf die Stigmata aus dem Lebensumfeld noch gravierender. Es ist eine Generation, die früh gelernt hat, dass Depressionen mit psychischer Labilität gewertet wird und über Gefühle nicht gesprochen wird. Es geht auch darum, dass es dann alle Leute wissen und darüber reden, tratschen, lachen und mit dem Finger auf die Betroffenen zeigen. Diese Erfahrung musste ich beim Verhalten und Denken meinen Eltern, mir gegenüber, selbst hart erfahren. Des Weiteren darf hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass im höheren Alter auch Depression und Demenz in der Diagnose öfter verwechselt wird. All diese Dinge, machen die Suche nach einem Interview-Partner in der Generation 60+ sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Leider.

 

Ich bin 57 Jahre alt. Lebe seit 7 Jahren mit diagnostizierte mittelgradiger Depression und den Nebendiagnosen: Dissoziative-, Soziale Kontakt- und Angststörung sowie erst seit 2016 mit der Diagnose PTSB (Posttraumatische Belastungsstörung). Ich bin selbst eine Betroffene. Ich bin aber auch eine Betroffene als Angehörige. Ich habe die Depression in meiner 15jährigen Ex-Ehe bei meinem Ex-Mann und zu Beginn meiner jetzigen Ehe erlebt und meine Erfahrungen gesammelt.

 

Das Zusammenleben mit einem psychisch kranken Partner, ist eine riesige Herausforderung und eine große Gefahr für den Angehörigen selbst!

 

In der Regel haben Angehörige keinerlei Erfahrungen und Wissen über die Depression und ihre Auswirkungen. Das ist nicht schlimm, birgt aber genau deshalb schon große Gefahren und falsche Verhaltensweisen.

Als Angehöriger erlebe ich schleichend, wie aus einem aktiven Menschen, ein Mensch wird, den ich nicht mehr erkenne. Er kann ein immer inaktiver, zurück gezogener, stiller, schwächer, aber auch aggressiver, lauter, vorwurfsvoller, unzufriedener oder jammernder Mensch werden, der nur noch negativ denkt, jegliche Antriebskraft und Freude am Leben fehlt. Eben lacht er noch und jetzt ist er wieder voller Selbstzweifel. Es gibt so viele Gesichter/Stimmung des Betroffenen und ich erlebe sie alle an einem Tag und das immer wieder. Wie soll ich das verstehen? Selbst wenn ich weiß, wie und warum dieses Verhalten auftritt, weil ich mich informiert habe, kann ich es nicht wirklich verstehen. Ich weiß nicht mehr wie oder was ich tun, was ich denken oder wie ich mit meinem Partner umgehen soll und ob ich an seinem Verhalten Schuld habe. Ich übernehme immer mehr alle alltäglichen Aufgaben, neben meinem Job, den Kinder … Nichts ist mehr wie es war.

 

Mein Ex-Ehe hatte schon ihre beste Zeit hinter sich und ich überlegte mehrfach, ob eine Trennung nicht besser wäre. Mein Ex-Mann war in den 15 Jahren Ehe, selten ein Mann der Entscheidung oder Aktivität. Es hatte mehrere Gründe, meinerseits, warum mir diese Beziehung trotzdem wichtig war und ich sie nicht aufgeben wollte. Die letzten 3 Ehejahre war mir vollkommen klar, dass er psychisch krank war. Zu stark waren seine Veränderungen. Er nahm keine psychiatrische Hilfe an, so lange wir verheiratet waren. Ich war gefangen in einer Welt der innerlichen Widersprüche. Wie konnte er jeden Tag arbeiten gehen, zu Hause aber nur im Sessel oder vor der Spielkonsole sitzen, ohne jeden Sinn oder Antrieb für die Familie. Waren wir im so gleichgültig oder was war los. Ich bekam keine Antwort darauf. Ich fühlte mich wie in einem endlosem Jammertal, ohne Ausgang. Das auch Schmerzen psychisch sein können, wurde mir erst klar, nach dem sich, nach 3 Wochen stationärem Aufenthalt im Krankenhaus, keine körperlichen Diagnosen stellten und er in die psychiatrische Abteilung verlegt werden sollte, was er strikt ablehnte. Für mich wurde es immer schlimmer, das jammern nahm zu und hinzu kamen seine beständige Vorwürfe mir gegenüber. „Du glaubst mir nicht..., ich bin schwer krank …, du hilfst mir nicht..., es war für mich wie in einer Endlosschleife. Er hatte kein Ohr mehr für mich oder die Kinder. Er war nur noch mit sich und seinen „unbeachteten“ Krankheiten sowie der Angst er könne bald sterben beschäftigt. Das ging soweit, dass ich ihm sogar die Hauspantoffeln hinstellte, damit er sie anziehen konnte. Ich funktionierte.

 

Ich meisterte meinen Arbeitsalltag, ertrug Mobbing, weil ich keinen anderen Job fand, wir aber von irgendwas leben mussten. Ich meisterte alle Sorgen und Nöten im Alltag mit den Kindern und auch die damit zusammen hängenden gravierenden Probleme. Immer wieder versuchte ich mit ihm zu sprechen, seine Sorgen und Nöte zu erkennen, heraus zu finden wie ich ihm helfen konnte. Sein stetiges Schweigen, sein stetes Jammern, seine Untätigkeit, seine Gereiztheit brachten mich an den Rand der Verzweiflung. Egal was ich tat, es war falsch. Ich konnte nichts richtig machen. Immer mehr nahm ich genau diese Gedanken selbst an und war beständig auf der Suche nach Auswegen. Keine Zärtlichkeit, kein lieber Blick, kein Sex, keine Aktivität, keinerlei Hilfe und diese beständige Ablehnung mir und den Kindern gegenüber, brachten mich an den Rand meiner eigenen Kräfte. Es machte mich selbst kaputt. Ich kann heute nicht mehr sagen, was ich getan hätte oder wie lange es es noch ausgehalten hätte.

 

Bevor ich selbst eine Entscheidung treffen konnte, war er eines Abends nach der Arbeit, gegangen.

Ohne ein Wort, ohne eine Adresse zu hinterlassen und ohne Vorankündigung. Von einem auf den anderen Tag, stand ich allein da.

 

Die zweite Erfahrung sammelte ich, zu Beginn meiner jetzigen Ehe. Ich hatte einen wundervollen, lieben und herzensguten Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand und auch doch nicht. Er hatte einen Montage-Job, der an sich Arbeitsrechtlich verklagt gehörte. Die Existenzangst hielt ihn in diesem Job. Eine 60-80 Stundenwoche mit Fahrwegen in ganz Deutschland, in der Nacht von einer Baustelle zur anderen, von Hamburg nach Frankfurt, um am Morgen pünktlich auf der Baustelle zu stehen … Jedes Maß verloren. Er kam Freitagabend nach Hause, völlig fertig um Sonntagmittag wieder loszufahren. Wenn er Freizeit hatte, hatte er keinen Blick mehr für Entspannung. Wir unternahmen Wanderungen, aber sein Handy war immer dabei und klingelte sogar nachts. Er schlief ein, auch wenn er sich noch so sehr dagegen wehrte, wenn er länger als 5 Minuten im Sessel saß.

 

Für ihn war das alles nicht so schlimm, er spielte es herunter und lachte über meine Angst. Selbst ein Minutenschlaf-Unfall mit Totalschaden, veränderte nichts. Ich selbst in einem Arbeitsverhältnis ohne Maß, dem Mobbing ausgesetzt, funktionierte wieder. Ich tat alles dafür, dass wir unsere gemeinsame Freizeit, ohne Alltagsaufgaben, für uns hatten. Bis Freitagabend war alles erledigt, von Post, über Behörden bis putzen und einkaufen. Ich lebte damit, das für Zärtlichkeit und Sex die Kraft, für Gespräche zum Thema das Verständnis bzw. die Einsicht fehlte und zur Annahme von psychiatrischer Hilfe keine Bereitschaft bestand. Dazu kamen unsere Existenzängste. Ich hatte Angst. Angst das wir es nicht schaffen. Angst, dass es unsere noch junge Ehe nicht aushält. Angst, ihn zu verlieren, weil er im nächsten Minutenschlaf sich tot fuhr, Angst dass meine Liebe nicht reichte, um ihn dazu zu bewegen Hilfe anzunehmen.

 

Ich hielt es nicht mehr aus. Ich setzte ihn vor die Wahl, entweder er nimmt Hilfe an oder ich gehe. Er nahm Hilfe an. Er war viele Wochen krank geschrieben, bevor er dann in eine Tagesklinik ging. Wochen in denen er im Haushalt kaum eine Hilfe war. Ich lebte unter Hochspannung und Angst, machtlos es zu verändern. Das schlimmste für mich war, dass ich alles gab, helfen wollte, sprechen wollte, verstehen wollte und nichts davon möglich war. Mein Mann ging seinen Weg. Er ging zur Therapie, doch wir sprachen nicht gemeinsam darüber oder darüber wie er sich fühlte, was er dachte, wie ihm die Therapie gefielt. Er machte alles, nur mit sich selbst aus. Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, nicht mehr in seinem Leben zu sein, dass er mich vergessen hatte, ich nur die Dekoration in seinem Leben war.

 

Die schlimmste Zeit für mich, waren die 8 Wochen Reha-Klinik. 8Wochen in denen er nicht zu Hause war, in denen er nichts zu erzählen hatte, am Telefon. Alle unsere Probleme hangen in der Luft über uns. Er ignorierte sie und sagte: Wenn ich wieder zu Hause bin, wird alles gut. Ich war am Ende meiner Kräfte und Nerven. Was sollte denn, dann gut werden, wenn er sich unseren Problemen nicht stellte? Wenn wir nicht darüber sprachen. Er kam gesund, munter, aktiv und voller Lebensenergie aus der Reha zurück. Jetzt konnte das Leben beginnen.

 

Ich konnte es nicht ertragen. Er war so glücklich. Er liebte mich so sehr. Er war so Lebenshungrig und ich brach zusammen. Ich konnte nicht mehr. Die Depression schlug ohne Erbarmen zu. Jetzt wurde es in meinem Leben dunkel. Sehr dunkel.

 

Das ist nun 7 Jahre her. Mein Mann ist der beste Ehemann der Welt für mich, mit all seinen Ecken und Kanten. Heute sprechen wir gemeinsam über unsere Gefühle, Nöte, Ängste und Freuden. Sein Verständnis ist ein anderes, da er selbst einmal betroffen war und sich gut an diese Zeit erinnern kann. Anders als er, möchte ich ihn mitnehmen, ihm von der Therapie erzählen, an meinen Erkenntnissen teilhaben lassen, an meinem Leben. Jetzt erst, versteht er wirklich, wie es mir damals ging, wie allein er mich gelassen hat. Er ist sehr dankbar dafür, dass ich ihn teilhaben lasse. Er ist von Herzen daran interessiert, was in meiner Therapie passiert und was ich Tag geschafft habe. Er will wirklich wissen, wie es mir geht. Anders als ich, hat er auch den Blick auf sich selbst. Er geht allein los und erlebt Schönes, auch wenn es ohne mich, nicht das selbe ist.

 

Heute sind wir gemeinsam dankbar für alles haben und vor allem, dass wir uns haben.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0